Fremdgehen ist der häufigste Trennungsgrund, da sind sich Paartherapeuten und die Umfragen der vergangenen Jahre einig. Gleichzeitig deuten Studien darauf hin, dass im Schnitt zumindest jeder Fünfte, der aktuell in einer Partnerschaft lebt, seinen Lebensmenschen schon einmal betrogen hat.

Das Phänomen ist dabei wohl so alt wie die Menschheitsgeschichte. „Menschen sind unberechenbare Wesen mit der starken Tendenz, ihrer Lust zu folgen“, lautet das Resümee der deutschen Paarberaterin Stephanie Katerle, die ein Buch zum Thema geschrieben hat. Dass Untreue zu schlimmen Schmerzen führt, steht für sie, wie für ihre Berufskollegen, außer Debatte - gleichzeitig sei Untreue in der romantischen Liebe als Sollbruchstelle eingebaut. „Sie gehört zum Programm“, sagt die Fachfrau.

Die Frage sei allerdings, was ein Paar daraus macht. „Paare können die Untreue nicht bannen, aber sie können sie anders bewerten, ihr die Brisanz und Bedrohlichkeit nehmen“, meint sie und fügt hinzu: „Verbote und Einschränkungen helfen dabei nicht.“ Informationen und Umsicht hingegen schon.

Dabei gibt es, auf den Punkt gebracht, wohl immer nur zwei Gründe für den sogenannten Seitensprung. Die Wiener Paartherapeuten Sabine und Roland Bösel, die nicht nur beruflich, sondern auch als Ehepaar mit dem Thema vertraut sind, sagen: „In den meisten Fällen hat es etwas mit der Beziehung zu tun, dass eine dritte Person in der Partnerschaft Platz bekam - im zweiten Fall macht einfach Gelegenheit Diebe.“

Von seinem eigenen Seitensprung vor 30 Jahren, der damals fast zur Trennung von seiner ebenfalls fremdgehenden Gattin geführt hat, wie Roland Bösel erzählt, sagt der Therapeut: „Ich würde mich heute viel selbstkritischer fragen, warum es überhaupt so weit kommen konnte, was meine Frau und ich in unserer Beziehung vernachlässigt haben.“

Sabine und Roland Bösel leben seit mehr als 40 Jahren zusammen, haben drei Kinder und arbeiten als Paartherapeuten. www.boesels.at
Sabine und Roland Bösel leben seit mehr als 40 Jahren zusammen, haben drei Kinder und arbeiten als Paartherapeuten. www.boesels.at © (c) Christian MUELLER (Christian MUELLER)

Heute sei er seiner Frau dankbar dafür, dass sie ihn damals mit ihrer eigenen Affäre wachgerüttelt habe. „Ich wäre heute nicht der, der ich bin, hätte ich das nicht erlebt.“ Viele würden in ähnlichen Situationen aber einfach einen Schlussstrich ziehen, weil sie sich an alte Verletzungen erinnern - wie sie etwa schon als Kind verlassen, betrogen oder missbraucht worden sind. Die Gefahr dabei sei, dass sich Themen und Muster bald zu wiederholen beginnen. „Es ist vielleicht nicht die leichteste, aber oft die beste Entscheidung, sich eine Chance zu geben und für Klärung zu sorgen.

Sollte man sich dann doch trennen, hat man jedenfalls wichtige Themen abgeschlossen, die einem später nicht mehr in die Quere kommen können“, sind sich Herr und Frau Bösel einig.

Das braucht freilich nicht nur guten Willen, sondern auch Zeit. Die Untreue eines Partners ist laut Bösel für die meisten schließlich die größte Prüfung in der Liebe, weil sie im schlimmsten Fall zu einem ständigen Zwiespalt führt. Das sei fast noch dramatischer als der Tod des anderen, bei dem es ohnehin nichts mehr zu diskutieren gibt.

Pro Jahr vier bis sechs Wochen

Zur konkreten Dauer der Klärung einer Beziehung nach einem Seitensprung haben die Bösels aufgrund ihrer Erfahrung folgende Faustformel parat: „Pro Beziehungsjahr vier bis sechs Wochen.“ Bei einer zehnjährigen Partnerschaft bedeutet das ab dem Moment, wo die Krise auf dem Tisch liegt, ein Jahr Beziehungsarbeit. Kompromisse sind dabei nach Ansicht Roland Bösels das falsche Ziel: „Sie sind ein Symptom unserer modernen Gesellschaft, die aus chronischem Zeitdruck nur die schnelle Lösung will. Eine wirklich fundierte Lösung findet Schritt für Schritt in einem langsamen Entwicklungsprozess statt.“

Wie eine Paartherapie dabei unterstützen kann? „Wir helfen den Paaren, einander wieder sehen und hören zu können, in einem Umfeld, in dem es weder Sieger noch Verlierer gibt“, sagt Bösel und ergänzt: „Wenn nur einer sich als Verlierer sieht, haben alle verloren, davon sind wir überzeugt. Ebenso wenig hilfreich sind Anleitungen, wie eine Beziehung funktioniert. Jedes Paar muss seinen eigenen Weg gehen.“

Ein Klassiker, den die Bösels in ihrer Beratungspraxis häufig erleben: „Der Mann wirkt engagiert und erzählt, dass seine Frau schon vor fünf Jahren meinte, sie würden eine Paartherapie brauchen. Damals hat er diese abgelehnt. Jetzt hat seine Frau eine Affäre, und er ist zu allem bereit. Die Frau sagt dazu: ,Jetzt weiß ich nicht mehr, ob ich das überhaupt noch will'“, erzählt der Therapeut und warnt davor, die direkten und indirekten Hilferufe des eigenen Partners zu überhören. Wer glaubt, dass bestimmte Lebensphasen (etwa wenn Paare gerade oder zum wiederholten Mal Eltern wurden) besonders anfällig fürs Fremdgehen machen, gerät in Argumentationsnotstand: Zumal man, wie Bösel betont, auch eine Affäre mit seinem Job haben kann. „Wenn man Tag und Nacht arbeitet, ist das zwar sozial anerkannt, der Beziehung tut es aber auch nicht gut.“

Immer beichten?

Bleibt noch die Frage zu klären: Soll man einen Seitensprung immer beichten? Ist es manchmal nicht klüger, ein Geheimnis für sich zu bewahren? „Ich war mir immer sicher, dass die Affäre, die mir meine Frau gestanden hat, nicht ihre einzige war. Umgekehrt ging es meiner Frau wohl ähnlich“, erzählt Roland Bösel. „Wir haben das aber nie ausgesprochen, weil es, nachdem wir unsere Probleme aufgearbeitet hatten, keine Relevanz mehr für uns hatte.“

Es gebe freilich auch den Fall, in dem ein Geständnis einen Missbrauch der eigenen Beziehung darstelle: „Dann, wenn es nur der Gewissenserleichterung dient.“