Verwinkelter und verzwickter, vielschichtiger und nachhaltiger, konsensverliebter und konfliktreicher geht es nicht: Kein Verwandtschaftsverhältnis reicht in Sachen Komplexität an eine Mutter-Tochter-Beziehung heran.

Die beiden Journalistinnen Anneliese Rohrer und Birgit Fenderl wissen das – aus eigener Erfahrung. Sie haben aber auch mit anderen Frauen darüber gesprochen. Und am Ende zu einem lesenswerten Buch zusammengefasst. „Die Mutter, die ich sein wollte – die Tochter, die ich bin“ (Verlag Braumüller) ist ein buntes Kompendium verschiedenster Biografien. Lebenswege von Müttern und ihren Kindern, die teils eng verschlungen, teils weit verzweigt, teils parallel nebeneinader her verlaufend, sich teils völlig überlagernd zumindest immer eines sind: einzigartige Geschichten. Egal, ob jene von einem Mutter-Tochter-Paar, beide Ärztinnen, die erst über ein gemeinsam auf die Beine gestelltes Afrika-Hilfsprojekt aus einer emotional dichten Dreiecksbeziehung mit einer sehr dominanten Großmutter heraus- und schlussendlich zueinanderfanden – auch, indem sie sich immer ähnlicher wurden.

Kinder annehmen, wie sie sind

Egal, ob jene von einer Adoptivmutter, deren aus Äthiopien stammenden Töchtern und ihrem – bürokratisch bedingt – sehr langen Weg zu einer gemeinsamen Familie. „Kinder so anzunehmen, wie sie sind, und ihnen die Konflikte der Eltern zu ersparen“, nennt die älteste Tochter heute als wertvollste „Mitgift“ aus ihrer Kultur- und Kontinentgrenzen übergreifenden eigenen Familienhistorie.

Wohl auch einzigartig ist die Geschichte von Deutschlands derzeitiger Verteidigungsministerin, der früheren Familienministerin und vor allem siebenfachen Mutter Ursula von der Leyen. Selbst aus einer kinderreichen Familie stammend, stand von der Leyen als junge Ärztin sehr bald vor der Herausforderung, berufliche Karriere und die Aufgaben einer Mutter auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Eine enorme Herausforderung, auch mit Schattenseiten, erzählt sie in einem sehr offenen, persönlichen Gespräch im Buch. „Das Schlimmste im Rückblick war das schlechte Gewissen“, sagt von der Leyen. „Und wenn ich etwas der jungen Generation ersparen könnte, dann wäre es vor allem das schlechte Gewissen“ – nämlich zu wenig Zeit für die Kinder zu haben. „Denn ich weiß heute mit meiner ganzen Erfahrung, dass es egal ist, ob die Eltern zu Hause oder berufstätig sind: Entscheidend ist, dass sie mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind.“

Ausgebrannt und zerrissen

Zu Hause frustriert, ausgebrannt im Beruf, zerrissen zwischen den beiden Welten – das alles beeinträchtige das Ziel, eine gute Mutter zu sein. Wer dagegen zufrieden mit der Rolle als Hausfrau oder glücklich im Beruf sei, der werde auch von den Kindern als zufriedene, zugewandte Mutter wahrgenommen.

Anders als von der Leyen ist eine weitere im Buch zitierte Mutter von der Weitergabe gewisser Erziehungsmodelle nicht überzeugt. „Meine Töchter haben davon profitiert, dass ich es anders machen wollte als meine Mutter“, sagt sie, wohl wissend, dass auch diese „nur das Beste für mich wollte“.

Verblüffende Annährungen

Der Blick auf die eigene Mutter verändert sich eben, wenn Frauen selbst Mütter werden, schreiben die beiden Autorinnen. Nicht selten komme es dabei im Laufe der Zeit zu verblüffenden Annäherungen.

Beziehungsmuster, Karrierewege, Familienplanung: Der eigene Lebensweg gleiche bei genauer Betrachtung wie ein Spiegelbild jenem der Mutter beziehungsweise wird er auch maßgeblich von Großmüttern geprägt. Wie in der von Umzügen, Trennungen und einer Affäre geprägten Muttergeschichte der Schauspielerin Proschat Madani („Vorstadtweiber“). „Meine Mutter hatte ganz klare Vorstellungen, was für meine Tochter gut war“, erinnert sie sich. In diesem Dreieck ihren eigenen Platz zu finden, fiel Madani nicht leicht. Diese Unruhe übertrug sich auch auf die Tochter.

Künstlich geschaffene Distanz

„Kinder sind ja wie Seismografen, die kriegen alles mit, auch Unausgesprochenes“, blickt sie auf diese turbulente Zeit zurück, in der sie die Nähe zu ihrer Tochter erst durch eine künstlich geschaffene Distanz (durch Unterbringung in einem Internat) wiederfand.
Töchter – das sind dauernd vom Zerspringen bedrohte Projektionsflächen für unerfüllte Lebensziele der Mütter.

Mütter – das sind ewige Orientierungshilfen, die aber nicht selten persönlich auf der Suche nach sich selbst sind.

„Du bist wie deine Mutter“ – ein Satz, der von Töchtern selten als Kompliment aufgefasst wird, heißt es in dem Buch. Es bleibt kompliziert.

Die Autorinnen:

Anneliese Rohrer ist eine der renommiertesten Journalistinnen des Landes. Sie war jahrelang Politikredakteurin bei der Tageszeitung „Die Presse“ und alleinerziehende Mutter einer Tochter. Nachdem sie als Kind ihre eigene Mutter als „unfrei“ wahrgenommen hatte, folgte Rohrer bei ihrer eigenen Tochter einem radikal liberalen Erziehungsmodell: „Lebe deine Leidenschaft!“ Diese Toleranz kann aber auch Angst machen, weiß sie heute.

Birgit Fenderl ist ORF-Journalistin und alleinerziehende Mutter einer Tochter. Sie entdecke an sich zunehmend äußerliche Ähnlichkeiten mit ihrer Mutter, schmunzelt Fenderl. Das, wo sie sich doch geschworen hatte, vieles anders zu machen, das Gegenmodell zum Lebensentwurf ihrer Mutter zu verwirklichen. Ein Wunsch nach Distanz, der ihr gegenüber der vor zehn Jahren verstorbenen Mutter ab und zu noch immer ein schlechtes Gewissen beschere.