Zeitgleich mit Magier Doctor Strange durch verschiedenste Parallelwelten kam der Film im Frühling des Vorjahres in die Kinos: Dass man das Konzept des Multiversums deutlich ambitionierter umsetzen kann, als es der homogene Marvel-Kosmos zulässt, beweisen Daniel Kwan und Daniel Scheinert in ihrer Regiearbeit. Mit Erfolg: Das Regieduo "The Daniels" reüsstierte bei zig Filmpreisen. Bei den wichtigsten, den Oscars, holte es in der Nacht sieben Trophäen: bester Film, beste Regie, bestes Originaldrehbuch, beste Hauptdarstellerin (Michelle Yeoh), beste Nebendarstellerin (Jamie Lee Curtis), bester Nebendarsteller (Ke Huy Quan) sowie bester Schnitt. Es ist ein Film, der sich vom Indie-Darling zum großen Abräumer hochjazzte und vielleicht genau der Streifen ist, den wir aktuell brauchen - mit all seiner Grenzenlosigkeit, der eskapistischen Parallelwelten und der Flucht aus dem Alltag - mitsamt Weltlage. Und all das gleichzeitig. Lesen Sie unsere Filmkritik:


In ihrem Debüt "Swiss Army Man" zeigten die Namensvetter schon Mut zum Absurden, ließen "Harry Potter"-Star Daniel Radcliffe als Leiche mit Flatulenzproblemen zum menschlichen Allzweckmesser umfunktionieren. Mit dem überaus passend betitelten "Everything Everywhere All at Once" wagt sich das Duo nun in spürbar bombastischere Gefilde.

Michelle Yeoh spielt die Waschsalonbesitzerin Evelyn, die von mehreren Seiten gleichzeitig mit Problemen konfrontiert wird. Die Steuererklärung muss unbedingt erledigt werden, Noch-Ehemann Waymond (Kinderstar Ke Huy Quan: furioses Comeback) will die Scheidung einreichen, und dann steht noch ein Besuch des weit angereisten Vaters (James Hong) an. Wäre das alles nicht schon genug, kommt es zudem zu Auseinandersetzungen mit Tochter Joy (Stephanie Hsu: wunderbare Entdeckung). Plötzlich nimmt der hektische Alltag der chinesischen Immigrantin eine unerwartete Wende. Dunkle Mächte drohen das Multiversum ins Verderben zu reißen: Ausgerechnet sie soll die Auserwählte sein, die dem Treiben ein Ende setzen kann. Im Schnelldurchlauf navigiert sie durch Alternativrealitäten – und sieht, was hätte sein können.

Die Protagonistenrolle wurde ursprünglich Hong-Kong-Legende Jackie Chan auf den Leib geschrieben, der dem Regie-Duo aber eine Absage erteilte. Glück im Unglück, denn diese Entscheidung brachte sie dazu, das Geschlecht der Hauptfigur zu ändern und Michelle Yeoh zu engagieren. Die nicht minder legendäre Malaysierin begeistert mit einer Darbietung, bei der die gesamte Gefühlsklaviatur bespielt wird – selbst Yeohs Martial-Arts-Künste werden gekonnt zum Einsatz gebracht.

Spurenelemente der Rahmenhandlung sind unverkennbar an das philosophische Wirrwarr der "Matrix"-Filme angelehnt, doch versprüht das Sci-Fi-Abenteuer einen eigenen Esprit. Ein wahnwitziger Einfall jagt den nächsten, die komplette Reizüberflutung scheint vorprogrammiert.
Unter diesem Genre-Chaos schlummert ein zutiefst humanistischer Kern, der mit roher Emotion zu Tränen zu rühren vermag. Ein außergewöhnliches Seherlebnis voller überbordender Kreativität, spritziger Gags und einer Prise Existenzialismus.

Bewertung: *****

Sie können den Film übrigens bereits streamen: auf Sky, AppleTV, Prime, Magenta.