An diesem großen, taumelnden Geist scheiden sich die Geister bis heute. Der Literaturkritiker Albert Schirnding hat Hölderlin zwar in seine aktuell erschienene „Galerie der guten Geister“ aufgenommen, befindet aber, dass der Dichter „Kauderwelsch auf allerhöchstem Niveau“ betrieben habe. Und Navid Kermani, der eine ebenso aktuelle Textsammlung zusammengestellt hat, schreibt: „Noch in den hermetischsten, mit idealistischer Philosophie, pietistischer Mystik und griechischer Mythologie hochgerüsteten Texten hört man ein wirkliches, ja das fiebrigste Herz der deutschen Literatur pochen.“ Wer also war dieses Fieberherz?

Radikal, genial, geisteskrank. Auch so könnte man Friedrich Hölderlin zusammenfassen. Geboren vor genau 250 Jahren, am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar, gestorben am 7. Juni 1843 in Tübingen. Wegen „unheilbarer Raserei“, so die Ärzte, verbrachte er sein halbes Leben in Pflege und brachte im Tübinger Dichterturm seine Hymnen zu Papier. Er, der wirre und irre Melancholiker. Der verzweifelte Gottsuchende, der tobende Sehnsüchtige, der manische Liebende, der abgehobene Himmelsstürmer. Zeilen wie diese: „Es träumet und wankt ja, wohin ich blicke.“ Oder: „Hinauf irret der Geist und hinab, Ruh’ erbittend.“ Gefunden hat er sie freilich nie, diese Ruh’.

Obwohl schwer einordenbar und weder der Klassik noch der Romantik eindeutig zuzuordnen, ist Hölderlin heute noch ein Popstar der Weltliteratur. Seine Arbeiten, darunter der schwer verdaubare Roman „Hyperion“, wurden in 83 Sprachen übersetzt. Sein Werk – oft an der Grenze zum Erträglichen, dann wieder voll leuchtender Schönheit – und die brüchige Biografie machen wohl das Faszinosum Hölderlin aus. Auch dass er mit vielen Konventionen gebrochen hat – sprachlichen wie gesellschaftlichen –, trägt das Seine dazu bei, dass diese rätselhafte Figur auch 250 Jahre nach ihrer Geburt nicht nur Literaturwissenschaftler beschäftigt, sondern auch Leser.

Er teilte sich ein Studierzimmer mit Hegel und Schelling, er lernte Goethe und Schiller kennen, er brannte (zu Beginn) für die Französische Revolution, er verbrannte an der Liebe zur Bankiersgemahlin Susette Gontard. Jener ikonische Turm am Neckar, in dem Hölderlin 36 Jahre lang lebte und litt, ist heute ein Instagram-Hotspot für Touristen geworden.

Aufgrund der Coronakrise wurden alle Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag Friedrich Hölderlins abgesagt. Aber diese Zeilen, ein Auszug aus dem Gedicht „Patmos“, können gefahrlos übermittelt werden. „Nah ist und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“

Buchtipps:

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Friedrich Hölderlin. Bald sind wir aber Gesang. Eine Auswahl von Navid Kermani. C. H. Beck. 256 Seiten, 20,60 Euro.

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Rüdiger Safranski. Hölderlin. Komm! ins Offene, Freund! Biographie. Hanser, 336 Seiten, 28,50 Euro.