Gratulation zur Shortlist für den Deutschen Buchpreis! Was bedeuten solche Nominierungen und Preise für Sie?
Raphaela Edelbauer: Auf jeden Fall ein ökonomisches Weiterkommen, eine Sicherung meiner Existenz.

Sie haben im Vorjahr den Publikumspreis beim Bachmann-Wettlesen gewonnen und waren diesjährige Klagenfurter Stadtschreiberin. Wie ging es Ihnen damit?
Ich wurde in Kärnten sehr gut aufgenommen. Leute haben mich angesprochen oder mir geschrieben, von ihren Themen erzählt und gefragt, ob ich das nicht literarisch verwenden will. Was ich schade fand war, dass das Klagenfurter Publikum nicht so erpicht auf meine seltsamen Leseformate wie die Schwimmlesung oder die Bananenboot-Lesung war (lacht).

In Ihrem Bachmann-Text geht es ebenso wie In Ihrem Roman „Das flüssige Land“ um Stollen, in denen KZ-Häftlinge Kriegsmaterial für die Nazis produzierten. Es gibt ein reales Vorbild?
Das reale Vorbild ist meine Heimatstadt, die Hinterbrühl, eine Vorstadt von Wien. Da gibt es die Seegrotte, eine Touristenattraktion. Im Zweiten Weltkrieg wurden da Flugzeugteile hergestellt, es war eine Außenstelle des KZ Mauthausen. Aber solche unterirdischen Orte, wo KZ-Häftlinge für die Kriegsindustrie produzierten, gab es ja häufiger, etwa auch in Melk. Groß-Einland (Anm.: der Ort in „Das flüssige Land“) ist eine Fantasiegemeinde, in der, wie der Name ja schon sagt, viele Gemeinden zusammenfließen.

Wie wichtig ist für Sie das Erinnern?
Sehr wichtig. Das Buch ist auch während des vorletzten Wahlkampfs und der Regierungsbildung Türkis-Blau entstanden. Es geht darum, wie man sich als österreichischer Staat zu seiner Vergangenheit positioniert und wer die Ausleger und Interpretatoren der Geschichte sind.

In Ihrer Kurzbiografie auf Twitter schreiben Sie über sich: „Tötet mit dem Schreibmaschinengewehr“. Ist „Das flüssige Land“ eine Art Abrechnung mit der Nazi-Vergangenheit Österreichs und überhaupt mit rechten Bewegungen?
Sicher. Denn was die letzte Wahl betrifft: Die Wähler der FPÖ sind ja irgendwohin gegangen. Ich denke, dass sich in der ÖVP entsprechend dem sogenannten Wählerwillen herauskristallisieren wird, dass sie die Rolle der FPÖ in den letzten Jahren der Koalition immer mehr übernommen hat. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir wieder eine ÖVP-FPÖ-Regierung erhalten.

Welche Koalition würden Sie sich wünschen?
Mein Traumszenario ist seit jeher Rot-Grün.

Ihr Roman wird immer wieder als „Anti-Heimatroman“ bezeichnet. Was ist Heimat für Sie?
Ich glaube, dass wir den Heimatbegriff nicht mehr von unserer Vergangenheit zurückbekommen können. Der Begriff wurde in der Zeit des Nationalsozialismus und dann auch in den 1950er-Jahren so instrumentalisiert, dass er befleckt ist. Wir müssen andere Begrifflichkeiten finden. Ein Schützen unserer Umwelt ist wichtiger als je, aber wir müssen diese Heimat eben auch mit Menschen teilen, die nicht das Glück haben, in einem neutralen und sicheren Land geboren zu sein. Ich glaube, das ist etwas anderes, das Glück darüber, dass man ein sicheres Herkunftsland hat. Diese Sicherheit und das gute demokratische Funktionieren bei aller Unzufriedenheit, die man vielleicht mit manchen politischen Strömungen hat, das könnte eine Weise sein, wie man sich dem wieder produktiv annähert.

Der Anti-Heimatroman hat in Österreich ja eine große Tradition von über Thomas Bernhard bis Elfriede Jelinek. Sehen Sie sich verankert in dieser Tradition?
Ja, und jedes Buch, das ich schreibe, wird in einer österreichischen, einer sprachkritischen Tradition stehen. Mein nächstes Buch handelt allerdings von künstlicher Intelligenz, ist also etwas anderes.

Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land. Klett-Cotta, 352 Seiten, 22.70 Euro
Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land. Klett-Cotta, 352 Seiten, 22.70 Euro © Cover/Klett Cotta

Können Sie mehr verraten?
Künstliche Intelligenz ist ein sehr politisches Thema, denn in ein paar Jahren wird das unser aller Leben sehr beeinflussen. Und die Rolle, die Computer bei der Frage spielen: Was bedeutet es, Mensch zu sein? Ich schreibe das Buch zum dritten Mal komplett neu, weil immer meine Fähigkeit dem, was ich sagen möchte, ein bisschen hinterhergehinkt ist. Jetzt denke ich zum ersten Mal, dass ich es auch von meinen schriftstellerischen Handwerksmethoden her schaffen kann.