Herr Turrini, die zweisprachige Aussage "Daheim ist überall, wo etwas wartet" ist mittlerweile fast ein Klassiker. Können Sie diesem Zitat zustimmen?

PETER TURRINI: Nein. Mir tun sofort die leid, auf die nichts und niemand wartet.

Viele Jahre lang stand in Ihrem Reisepass als Berufsbezeichnung "Heimatdichter". Was wollten Sie damit zum Ausdruck bringen?

TURRINI: Es war pure Ironie.

Sie erklären häufig, dass Ihre wahre Heimat die Sprache sei. Ist das nicht eine ziemlich unbequeme Bleibe? Denn dort sind Sie, wie viele Ihrer Theaterstücke belegen, ja auch von unangenehmen Gestalten reichlich umgeben.

TURRINI: Ich nehme das Wort "Heimat" so ungern in den Mund, und wenn es dort einmal landet, dann spucke ich es schnell wieder aus.

Warum?

TURRINI: Für mich ist entscheidend, wo sich ein Mensch zu Hause fühlt. Für einen Moment, für eine Weile, für längere Zeit. Dieses Gefühl kann man bei einem anderen Menschen empfinden, für eine Gegend, es kann sich auf eine Situation beziehen, ja sogar auf Laute. Wenn ich als Kind bei meinem steirischen Großvater in Knittelfeld zu Besuch war, hat man in der Nacht immer die Geräusche vom Verschubbahnhof gehört. Da hab ich mich sehr geschützt gefühlt.

Gibt es für Sie Schutzgefühle prinzipiell noch? TURRINI: Heute ist mein Zuhause das Theater. Und da das Theater auf eine poetische Weise unser Leben abbilden soll, rennen auf der Bühne natürlich viele unangenehme Gesellen und Irre herum. Aber das macht mir nichts: Wenn ich sie in einem Stück abgebildet habe, fürchte ich mich weniger vor ihnen.

Der Begriff Heimat ist durch verheerenden, fatalen Missbrauch, vor allem in der NS-Zeit, nach wie vor erheblich belastet. Sehen Sie da Hoffnung auf ein Umdenken?

TURRINI: Der Begriff wurde nicht nur in der Nazi-Zeit missbraucht, sondern heute genauso. Auf der einen Seite sprießen die Heimat- und Brauchtumsveranstaltungen nur so aus dem Boden, aber andererseits ist dieser Boden ausgelaugt oder von Schnellstraßen zerschnitten. Unser industriell produziertes Essen ist voll mit Gift, aber in der Lebensmittelwerbung werden ländliche Idyllen gezeigt, die sehr stark an die faschistische Ästhetik erinnern. Alles, was man umgebracht hat, feiert als Ideologie, als Kitsch seine Auferstehung. Wie steht es denn da mit Ihrer Österreich-Liebe? TURRINI: Rainhard Fendrich besingt seine Heimat "Österreich", aber was ist das überhaupt? Ein politisches Gebilde, das in hundert Jahren fünf Mal seine Gestalt gewechselt hat. Von der Monarchie zur Ersten Republik, von dort zum Ständestaat und dann ab ins Dritte Reich. Dann geht's wieder los mit der Zweiten Republik. Ich bin zur Österreichliebe schon deshalb unfähig, weil mir das Objekt der Zuwendung zu instabil ist. Auf so eine Liebe kann man sich nicht einlassen, weil man sich nicht auf sie verlassen kann.

Passend zu Fendrich: Nichts wird, in allen Nuancen, so häufig besungen wie die Heimat. Passt es da nicht auch ins zwiespältige Bild, dass sich ausgerechnet auf das Wort Heimat so gut wie gar nichts reimt?

TURRINI: Wenn ich in Kärnten bin und manchmal so wunderschöne Plätze sehe, könnte auch ich einen Juchatzer machen. Vor ein paar Wochen bin ich auf der tschechischen Seite die Thaya entlangmarschiert und auch da war ich nicht weit von einem Juchatzer entfernt. Vielleicht befällt mich so eine Anwandlung demnächst auf der Chinesischen Mauer. Oder dürfen nur die eigenen Berge und Seen angesungen werden?

Woran liegt es denn, dass jeder, der Kritik an der Heimat übt, und sei diese Kritik noch so konstruktiv gemeint, fast reflexartig als "Nestbeschmutzer" abgekanzelt wird?

TURRINI: Irgendwer muss ja für den Dreck im Nest verantwortlich gemacht werden und das sind zumeist die, die auf ihn hinzeigen.

Die Fremdenangst ist ein österreichisches Kapitel für sich. Aber befällt Sie, als Inländer, nicht zuweilen auch Angst vor befremdlichen sogenannten Einheimischen? Eine Austrophobie?

TURRINI: Was ist schon das Einheimische, was das Fremde? Nehmen Sie Maria Saal, das Zollfeld, von wo ich herkomme. Da vermischte sich das Keltische mit dem Römischen, das Deutsche mit dem Slawischen. Wir sind vermischte Wesen, es gibt keinen echten Kärntner und das ist grundsätzlich eine Freude. Wenn ich gegen jemanden eine Phobie entwickle, dann hat das nichts mit seiner Mischkulanz, sondern mit seinem Charakter zu tun. Deppen gibt's überall.

Sie haben in sehr jungen Jahren Kärnten geradezu fluchtartig verlassen. Warum?

TURRINI: Wer Kärnten in jungen Jahren nicht verlässt, zumindest zeitweise, dem droht allerhöchste Gefahr. Nach einiger Zeit glaubt er, dies sei die Welt, und will nur noch seinen eigenen Sound hören und die eigene Kulisse sehen.

Ist eine Rückkehr denkbar? Oder eine Versöhnung?

TURRINI: Mit einem Land kann man sich nicht versöhnen, Versöhnung gibt es nur zwischen Menschen. Und für diese setze ich mich ständig ein. Eine Sonderrolle auf der Werteskala spielt die Provinz, die unbestritten auch Teil der Heimat ist. So gesehen wären Sie, als weltbekannter Autor, hierzulande ein klassischer "Provinzler".

TURRINI: Und darauf poche ich. Meine Literatur bezieht ihre Inspiration immer aus der allernächsten Umgebung. In einigen meiner Stücke habe ich versucht, das Weltenganze zu beschreiben, bin aber kläglich gescheitert. Die "Provinz", die Menschen und die Grausamkeiten und die Schönheiten, die uns unmittelbar umgeben, sind unser Leben. Und das will ich abbilden.

Sie leben seit Jahren in der Nähe von Retz. Betrachten Sie das als "Exil" oder Zweitheimat?

TURRINI: Weder das eine noch das andere. Hier ist eine ruhige Gegend, in der ich gut arbeiten kann. Außerdem wird hier Wein getrunken und das macht die Leute weniger aggressiv als in Bier- und Schnapsgegenden.