Die "Neue Zürcher Zeitung" nimmt die Landesregierung in Innsbruck massiv in die Pflicht: "Tirol ist zu einem der gefährlichsten Infektionsherde geworden. Verantwortlich dafür sind die Sorglosigkeit der Party-Touristen und die zögerliche Haltung der Behörden – die Folgen werden erst langsam absehbar." Zwischenzeitlich melden sich immer mehr Skigäste aus dem Paznaun, die ebenfalls schwere Vorwürfe erheben. Schon bevor besagter Barkeeper aus der Apres-Ski-Bar „Kitzloch“ am 7. März positiv getestet worden sei, habe es mutmaßliche Corona-Erkrankungen in Ischgl gegeben, heißt es. Jedoch seien Verdachtsfälle, vornehmlich Mitarbeiter im Tourismus, einfach nach Hause geschickt worden. Das Land wehrt sich gegen die Anschuldigungen. „Es wurden jeweils sofort nach Vorliegen gesicherter Daten restriktive Maßnahmen gesetzt“, stellte Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg in Innsbruck klar. Den nur ungenauen übermittelten Informationen, dass viele skandinavische Gäste am Coronavirus erkrankten, sei das Land aber umgehend nachgegangen.

Zweidrittel aller Tiroler Corona-Fälle, die Hälfte der norwegischen und dänischen Erkrankten kommen aus dem Paznauntal oder St. Anton. Landeshauptmann Günther Platter ergänzte, dass die Gäste erst zu Hause bemerkt hätten, dass sie infiziert seien, und sie „haben sich deshalb auch erst später gemeldet“. Außerdem wisse man nach wie vor nicht, wie das Virus ursprünglich überhaupt in Ischgl übertragen worden sei.

Touristen übernachteten in Innsbruck

Dass Hunderte von Touristen nach ihrer Abreise aus St. Anton und Ischgl von Freitag auf Samstag in Innsbrucker Hotels übernachtet haben, sorgt nun ebenfalls für herbe Kritik. „Die Gäste haben ein Formular unterzeichnet, dass sie Tirol sofort verlassen“, verteidigte Platter die angegriffenen Behörden nachdrücklich. Man könne ja nicht überall Polizeiposten aufstellen, um zu überprüfen, ob die Selbstverantwortung der Menschen ausreiche.

Ausländische Behörden reagierten schneller

Die Kritik wurde auch deshalb laut, weil ausländische Behörden deutlich schneller reagiert haben als die heimischen. Nachdem am 29. Februar eine Boeing der Icelandair aus München kommend in Reykjavík gelandet war und Mitglieder einer Ischgl-Reisegruppe positiv auf Corona-Viren getestet wurden, erklärten isländische Behörden das Skigebiet zum Risikogebiet. Die Erklärung von Landessanitätsdirektor Franz Katzgraber damals: Es erscheine „aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist“. Die Reisenden hätten sich im Flieger angesteckt bei einem Rückkehrer aus Italien, der ebenfalls positiv getestet wurde. Norwegen zieht nach den Berichten Konsequenzen und testet eine norwegische Reisegruppe am 7. März. Wieder sind einige Ergebnisse positiv. Bisher vermuten norwegische Behörden bei 491 der 1198 Infizierten eine Ansteckung in Tirol.

Hunderte Gäste aus Deutschland und Skandinavien angesteckt

Touristen mussten das Sperrgebiet am Arlberg und im Paznauntal verlassen
Touristen mussten das Sperrgebiet am Arlberg und im Paznauntal verlassen © APA/EXPA/ERICH SPIESS

Auch 100 deutsche Gäste sind betroffen, 260 Dänen und 140 Schweden. Das Robert-Koch-Institut in Berlin hat deswegen Tirol wie Madrid, Wuhan oder Iran als Risikogebiet eingestuft. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn empfahl allen Reisenden, die zuletzt in Österreich waren, zwei Wochen zu Hause zu bleiben. Denn bereits am 9. März stellt sich heraus: Mindestens 15 Personen im Umfeld des 36-jährigen deutschen Barkeepers mit norwegischem Namen sind erkrankt. Das Land Tirol gesteht ein, dass ein Zusammenhang mit den erkrankten Skandinaviern „nicht ausgeschlossen werden“ kann.

Fünf Tage danach wird Sperrgebiet eingerichtet

Am Donnerstag – fünf Tage nach dem Erstfall – dann die Kehrtwende. Das Skigebiet Ischgl wird vorzeitig geschlossen, am Freitag das gesamte Paznauntal, und auch St. Anton behördlich für 14 Tage zum Sperrgebiet erklärt. Am Sonntag wird für eine Woche eine Ausgehsperre für alle verhängt. Ausländische Gäste wurden zur sofortigen Ausreise aufgefordert. Ab auch das hat offenbar nicht wie geplant funktioniert.