Eingekauft am Théâtre du Châtelet in Paris (dort war im Februar 2016 Premiere) und für Graz mit neuer Besetzung einstudiert, soll Cole Porters Musical-Klassiker, uraufgeführt 1948 in New York, der Oper Graz einmal mehr eine fulminante Musical-Auslastung in dieser Spielzeit bescheren. Dem steht jedenfalls nichts im Weg. Denn allein der Augenschmaus lohnt einen Besuch. Eine Farbenpracht, die den Zuschauer gleichzeitig einlullt und verzückt, aber nie erschlägt: Selten sieht man heutzutage eine derart geschmackvolle Nuancierung, eine Liebe zur Hülle - und das in einem exzellenten Bühnenbild, das dem doppelbödigen Spiel die nötige Leichtigkeit verleiht.

Der überraschend und viel zu früh verstorbene Regisseur Lee Blakeley (für Graz übernahm seine langjährige Assistentin Tess Gibbs) hat ein "Kiss Me, Kate" auf die Bretter gezaubert, das wie ein Ameisenhaufen in der ersten Viertelstunde erst seinen Rhythmus finden muss, aber dann das Herz erwärmt und mit seinem Charme und eben mit einer Liebe zu diesem Klassiker, zu seinen "Outstanding"-Songtexten und den Figuren dem Publikum einen wunderbaren Abend bietet. Und das Schau-Erlebnis lässt über (ohnehin nur sehr kleine) Schwächen hinwegsehen.

Katja Berg als Lilli Vanessi/Katharina alias Kätchen: der Star des Abends im wahrsten Sinne! Mit Marc Lamberty als Fred
Katja Berg als Lilli Vanessi/Katharina alias Kätchen: der Star des Abends im wahrsten Sinne! Mit Marc Lamberty als Fred © Werner Kmetitsch

"Wunderbar" gehört zu den bekanntesten Liedern von "Kiss Me, Kate"; der Höhepunkt in Graz ist freilich "I Hate Men" in der Interpretation von Katja Berg (das namensgebende Kätchen), der damit auch am Broadway oder am West End Begeisterungsstürme sicher wären. In Graz werden trotz deutscher Dialoge die Songs übrigens im Original gesungen. Womöglich nimmt Marc Lamberty seinen Fred/Petruchio selbst nicht wirklich ernst, die beiden Damen Berg und Bettina Mönch (Lois/Bianca) hinterlassen jedenfalls den größten Eindruck. Wobei die Besetzung der Männer in den Nebenrollen zeigt, wie ernst es dem Haus mit dem Musical ist und es auf eine durchgehend erstklassige Besetzung achtet, ob mit Götz Zemann (Harry/Baptista),  Ivan Oreščanin (Ralph), der in der "Polnischen Hochzeit" (Premiere am 8. Dezember) wieder als Solist singen darf, oder Gerhard Balluch (Harrison). Andrea Huber bewegt als Hattie (Huber stand vor 19 Jahren übrigens selbst als Kate auf der Grazer Opernbühne). Cedric Lee Bradley führt als Paul mit Fieber und Dampf in die letzte Stunde von "Kiss Me, Kate" hinein: Da spürt man schon mal die mitzuckenden Füße des Besuchers auf dem Platz hinter sich! Dirigent Marcus Merkel, ein gebürtiger Berliner, mag trotz seiner jungen Jahre altmodisch wirken (optisch), passt aber perfekt in diese Inszenierung des Theaters im Theater und leitet das Orchester mit Verve und einem Schalk im Nacken.

Fazit: Die Musical-Produktion dieser Saison verströmt den Glanz alter Tage, ohne nur eine Sekunde mit einem Staubkorn versehen zu sein. Bei den Choreografien mag sich der eine oder andere Besucher einen moderneren Zugang gewünscht haben, wie man in der Pause hören konnte, doch gerade diese "altmodische" Musical-Art, die hier mit Augenzwinkern, komödiantischem Witz und einer nie angestrengt wirkenden Power dargeboten wird, sollte viele, viele Genre-Liebhaber verzücken. Charmante Beispiele gäbe es einige, klein und fein: "We Open in Venice". Aber jetzt ist erst einmal Graz an der Reihe!

Die Produktion läuft bis Mai 2019 in Graz
Die Produktion läuft bis Mai 2019 in Graz © KMETITSCH

Musikalische Leitung: Marcus Merkel | Marius Burkert; Inszenierung: Lee Blakeley (1971-2017); Szenische Einstudierung: Tess Gibbs; Choreografie: Nick Watson; Bühne: Charles Edwards; Kostüme: Brigitte Reiffenstuel.
Mit Katja Berg, Marc Lamberty, Bettina Mönch, Steven Armin Novak, Andrea Huber, Cedric Bradley, Martin Fournier, Ivan Orescanin, Sven Fliege, Alfred Haidacher, Martin Enenkel, Götz Zemann, Nigel Watson, Adam Cooper, Calum Flynn, Rico Salathe, Andrew Cummings, Lukas Schwedeck, Paul Csitkovics, Gerhard Balluch u.a.
Weitere Vorstellungen von "Kiss Me, Kate": 24. Oktober; 4. (15 Uhr), 8., 11. (15 Uhr) und 30. November;  7., 22. und 23. (15 Uhr) Dezember; zum letzten Mal am 11. Mai 2019. Beginn um 19.30 Uhr, wenn nicht anders angegeben. Oper Graz.