Der Schock sitzt tief. Mitten in der Corona-Krise mit Ausgangsbeschränkungen und verschärften Sicherheitsmaßnahmen wurde die kroatische Hauptstadt Zagreb am Sonntag Morgen von mehreren Erdbeben erschüttert. Das Epizentrum des ersten und mit einer Stärke von 5,3 heftigsten Erdstoßes lag etwa sieben Kilometer nördlich von Zagreb in einer Tiefe von zehn Kilometern. Das kurz darauf folgende zweite Erdbeben mit der Stärke 5,0 rund zehn Kilometer von der Kapitale entfernt. Knapp 30 Nachbeben sollten über den Tag verteilt folgen.

Es waren die schwersten Erdbeben seit 140 Jahren in der Region. Die Beben waren unter anderem auch in Graz und in Klagenfurt zu spüren, in den Sozialen Medien wurden sie schnell zum Thema. Leser der Kleinen Zeitung berichteten, dass sie in vielen Teilen der Steiermark von Bad Radkersburg über Gnas bis Mürzzuschlag die Erschütterungen verspürt haben, auch um 6.28 Uhr in Klagenfurt wurden die Beben registriert.

Verletzte und Schäden in Zagreb

In Zagreb richteten die Beben schwere Schäden an. Es gibt mindestens 17 Verletzte, eine 15-Jährige befindet sich in kritischem Zustand. Die Spitze von einem der Zwillingstürme der Kathedrale ist abgebrochen, etliche Fassadenteile von diversen Gebäuden auf Straßen und parkende Autos gestürzt.

Am schlimmsten traf es den historischen Kern der kroatischen Hauptstadt, doch auch in den großen Wohngebieten flüchteten die Leute teils panisch aus ihren Betten. "Wir stehen nur mit dem Notwendigsten bekleidet auf der Straße und es ist sehr kalt. Wir wissen nicht, wie oft die Erde noch beben wird", erzählt eine Anwohnerin aus dem Stadtteil Dubrava. 

Mehrere Stadtteile waren über Stunden ohne Strom und Wasser, diverse Straßenbahnlinien (Zagreb hat keine Metro) sind außer Betrieb, weil Schutt und Gebäudeteile die Schienen verlegen, Straßen sind blockiert, Ampel stehen still. Zur Unterstützung bei den Aufräumarbeiten rückte am Vormittag die Armee mit rund 230 Soldaten aus.

Die Verunsicherung in der Stadt ist groß. Einerseits wurde den Leuten empfohlen, die beschädigten Häuser dringend zu meiden, andererseits wurde vehement dazu aufgerufen, wegen der Corona-Epidemie Abstand zu einander zu halten. "Wir haben jetzt zwei Krisensituationen", sagte der kroatische Premier Andrej Plenkovic. Laut dem Vorsitzenden des Zivilschutzstabs, Innenminister Davor Bozinovic, ist das Coronavirus nach wie vor eine größere Herausforderung als das Erdbeben. Am Nachmittag waren die beiden mit Experten bei einem Lokalaugenschein in der Innenstadt.

© APA/AFP/DAMIR SENCAR

Auch in den Krankenhäusern der Stadt sorgten die Erschütterungen für einen Ausnahmezustand. Mehrere Stationen wurden beschädigt, Patienten trotz Temperaturen von nur knapp über der 0-Grad-Grenze ins Freie evakuiert. Eine Entbindungsklinik musste vorübergehend geschlossen werden. Babys in Brutkästen wurden mit Militärfahrzeugen in ein anderes Spital gebracht, welches bereits zuvor aufgestockt wurde, um Platz für Corona-Patienten zu schaffen. Bei der Evakuierung halfen auch die berüchtigten Dinamo-Fußballfans "Bad Blue Boys", die laut Medien unter den ersten gewesen sind, die zur Hilfe kamen. Die Spitäler wurden laut Gesundheitsminister Vili Beros von Statikern geprüft und haben keine größere Schäden davongetragen. 

Eine Entbindungsklinik musste geräumt werden
Eine Entbindungsklinik musste geräumt werden © AP/Darko Bandic

Rund 150 Bauexperten sind in der ganzen Stadt damit beschäftigt, die betroffenen Gebäude auf ihre Sicherheit zu prüfen. Für jene Menschen, die nicht in ihre beschädigten Wohnungen zurückkehren können, werden auf einem Campus 1600 Betten zur Verfügung gestellt, hieß es. Auch das kroatische Parlamentsgebäude wurde durch die Erdbeben erheblich beschädigt, ein Teil des Daches ist eingestürzt, es herrscht bis auf weiteres Betretungsverbot. 

Präsident Zoran Milanovic forderte die Bevölkerung nach einem rasch einberufenen Krisengipfel am Morgen dazu auf, sich vor allem auf Informationen der Hauptverantwortlichen, zu denen in erster Linie der Premierminister und das Hauptquartier für Katastrophenschutz gehören, zu konzentrieren. "Alles andere, was Sie hören, kann ignoriert werden", sagte der Präsident in einer ersten Reaktion auf diverse Gerüchte von weiteren Beben und der Restriktionen im Zeichen des Coronavirus. Wichtig sei es, auch weiterhin nicht in Panik zu geraten und die Sicherheitsabstände einzuhalten, heißt es auch von Seiten des Zivilschutzes. 

Gefahr noch nicht gebannt

Das Entsetzen nach den Beben ist in ganz Kroatien groß. Die Zeitung Jutarnji List stellte am Abend auf ihrer Nachrichtenseite die Frage: "Corona, Erdbeben, Isolation, Wind, Schneefall im Frühling... Was kommt als nächstes?" Und tatsächlich ist die Gefahr nicht gebannt.

Weitere Nachbeben können nicht ausgeschlossen werden. Experten der Zagreber Fakultät für Naturwissenschaften versuchen die Bevölkerung, entsprechend vorzubereiten: "Machen Sie sich bereit für schwächere, aber zahlreiche Erdbeben, und zwar nicht nur heute, sondern auch in den kommenden Wochen", warnt das Institut auf seiner Facebook-Seite. Der Zivilschutz rät, wichtige Dokumente, warme Kleidung, Medikamente und Geld griffbereit zu legen. Auch das Wetter könnte zum Problem werden: Prognosen sagen starken Wind vorher, weshalb die Gefahr besteht, dass von den beschädigten Gebäuden weiter Trümmer herunterfallen könnten.

Die großen Erdbeben waren auch in anderen Städten Kroatiens zu spüren, unter anderem in der europäischen Kulturhauptstadt 2020, Rijeka, die bereits stark unter den Absagen wegen der Coronakrise leidet. 

Befürchtungen wegen AKW Krško

Die Ausläufer des Erbebens in Kroatien waren auch in Bosnien und Slowenien stark zu spüren. Vor allem in der Grenzregion Unterkrain waren ein starkes Grollen zu hören und ein Zittern von Lustern und Schränken in den Wohnungen zu sehen. Schadensmeldungen gibt es derzeit nicht.

Unbeschadet überstanden hat nach Meldungen der Marburger Tageszeitung "Vecer" das Kernkraftwerk in Krško das Erbeben, dessen Epizentrum nur rund 20 Kilometer von der Nuklearanlage entfernt lag. Das Kernkraftwerk sorgte bei Sicherheitsexperten seit Jahrzehnten für Diskussionen, weil es auf einer ausgeprägten Erbebenlinie erbaut wurde.

AKW-Betreiber beruhigt

"Das Atomkraftwerk funktioniert trotz des Erdbebens sicher", teilte der Betreiber des von Slowenien und Kroatien gemeinsamen betriebenen AKW mit. In der Anlage, die weiterhin mit voller Kraft in Betrieb bleibe, werden präventive Checks durchgeführt, hieß es weiter. Das slowenische Infrastrukturministerium teilte unterdessen via Twitter mit, dass die Experten im AKW Krško Analysen gemäß Protokolle durchführen und es bisher nicht erforderlich gewesen sei, die Anlage abzuschalten. "Es gibt keine Konsequenzen oder Gründe für eine Abschaltung", hieß es.

Schöne Geste

Auch in Serbien zeigt man sich nach den heftigen Erdstößen betroffen und will die Nachbarn moralisch unterstützen. In der Hauptstadt Belgrad wurde am Abend öffentlich als Zeichen der Solidarität für Zagreb applaudiert - eine Geste, die sich in Zeiten den Corona-Krise bereits in mehreren Ländern durchgesetzt hat. Die beiden Staaten bekämpfen derzeit Seite an die Seite gegen die weitere Ausbreitung Pandemie.

Zagrebs Dom schon einmal zerstört

Vom Wahrzeichen der Stadt, der Kathedrale Mariä Himmelfahrt, heiliger Stephan und Ladislaus, fiel die Spitze des Südturms mit dem Kreuz aus mehr als 100 Metern Höhe herab und durchschlug das Dach. Auch das angrenzende Erzbischöfliche Palais erlitt Schäden. "Alles ist überall verstreut. Wir stehen unter großem Schock", sagte der Rektor des Zagreber Doms,  Josip Kuhtic. Das Innere der Kathedrale blieb wegen anhaltender Nachbeben vorerst nicht zugänglich.

Auch zahlreiche weitere Gotteshäuser in und rund um Zagreb wurden beschädigt. Die katholische Nachrichtenagentur IKA veröffentlichte etwa ein Video aus dem Innenraum einer Kirche im Stadtteil Remete, das die Sekunden des ersten Erbebens zeigt. Darauf ist zu sehen, wie Teile der Fresken in den Kirchenraum stürzen. Die Außenmauer der Kirche habe Risse bekommen, berichtete Pfarrer Mario Antonio Cirko. Auch aus der Franziskanerkirche im historischen Stadtkern wurden Schäden gemeldet.

In der Geschichte haben wiederholt Erdbeben Zagreb und auch den Dom zerstört. 1880 stürzten das Hauptschiff und der Glockenturm der Kathedrale ein. Der Wiener Architekt Friedrich von Schmidt besorgte den Wiederaufbau in neugotischen Formen. Durch Vernachlässigung in kommunistischer Zeit erlitt das Bauwerk starke Schäden. Eine aufwändige Restaurierung dauert seit 1990 an. Der beim Beben an der Spitze beschädigte Südturm ist seit einiger Zeit an seiner unteren Hälfte eingerüstet.