"Worte allein genügen nicht mehr. Die Gläubigen erwarten sich konkretes Handeln gegen einen Tumor, wegen dem die Kirche stark an Glaubwürdigkeit verloren hat", so der Enthüllungs-Journalist Emiliano Fittipaldi.

"Millionen Gläubige haben sich in den letzten Jahren von der katholischen Kirche abgewendet, weil viel zu wenig gegen Kindesmissbrauch unternommen worden ist. Die Kirche muss ihre Glaubwürdigkeit verteidigen, und das kann nur mit Taten erfolgen. Wenn der Papst nicht konkret handelt, wird man auch dieses Gipfeltreffen beim nächsten Skandal wieder vergessen haben", sagte der Enthüllungsjournalist Fittipaldi im Gespräch mit der APA in Rom. In seinem 2017 erschienenen Buch "Lussuria" (Wollust) hat er von unzähligen Missbrauchsskandalen in der italienischen Kirche berichtet und den Kirchenbehörden vorgeworfen, sie gedeckt zu haben.

Laut Fittipaldi müsse der Papst bei Verdacht auf Missbrauch eine Anzeigepflicht für Bischöfe, Seelsorger und Kirchenmitarbeiter einführen. "Das würde vieles ändern", meinte der 44-jährige Journalist. Mit der Begründung, dass es im Vatikan keine Anzeigepflicht gebe, würden sich viele Bischöfe ihrer Verantwortung entziehen, des Kindermissbrauchs verdächtigte Geistliche der Justiz zu melden. Fittipaldi drängt auch auf eine Aufhebung des päpstliches Geheimnisses, wegen der unzählige Missbrauchsfälle weltweit bisher nicht ans Licht gekommen seien. Das päpstliche Geheimnis ist eine Geheimhaltungspflicht von kirchlichen Amtsträgern in einer Reihe besonders heikler Angelegenheiten. Dazu zählen auch Strafverfahren gegen Kleriker. Nach Argumentation des Vatikan soll das päpstliche Geheimnis Beschuldigte wie Betroffene während der Strafverfahren schützen.

"Es gibt zwar keinerlei Anzeichen, dass der Papst Schritte zu mehr Transparenz unternehmen wird. Ich will aber optimistisch bleiben, denn auf dem Spiel steht die Glaubwürdigkeit der gesamten katholischen Kirche. Auch angesichts der zunehmenden Säkularisierung in der heutigen Gesellschaft kann es sich die Kirche nicht mehr erlauben, im Kampf gegen Kindesmissbrauch nicht höchste Transparenz zu garantieren." Es genüge nicht mehr, dass sich der Papst bei den Opfern entschuldige.

Pädophilie sei keine Plage der Vergangenheit, sondern ein Verbrechen, das immer wieder neu verübt werde. Allein in den letzten fünf Jahren seien im Vatikan wegen Missbrauchs von Minderjährigen durch Geistliche 400 Anzeigen pro Jahr eingetroffen. In Italien wurden in den letzten zehn Jahren 300 Fälle angezeigt, berichtete der Journalist. In Italien sei im Gegensatz zu angelsächsischen Ländern der Kampf gegen Pädophilie wegen "kultureller Unterlegenheit" vieler Familien gegenüber den kirchlichen Behörden schwieriger. "Oft glaubt man den Kindern nicht. Oft müssen sie erst erwachsen werden, bis sie das Geschehene verarbeiten und Mut zum Anzeigen finden."

Als "äußerst gravierende kollektive Sünde des Klerus" bezeichnete Gian Franco Svidercoschi, Ex-Chefredakteur des vatikanischen Sprachrohres "Osservatore Romano", das lange Schweigen der Kirche zu Missbrauchsfällen. Dank der letzten Päpste sei es jedoch zu einer Wende gekommen, wie die Einrichtung der vatikanischen Kommission für Minderjährige bezeuge. Svidercoschi fordert eine Reform der Seminare und eine bessere Vorbereitung der Seminaristen auf alle Aspekte ihres künftigen Priesterlebens, inklusive der Sexualität.

Svidercoschi ist Autor des Buchs "Chiesa, liberati dal male!" (Kirche, befreie Dich vom Bösen!). Darin thematisiert er die Ratlosigkeit eines Gläubigen angesichts des Kindesmissbrauchsskandals. Sein Werk widmete der Autor dem irischen Missbrauchsopfer Marie Collins. Collins, die als Kind von einem Priester missbraucht worden war, gehörte der ersten von Papst Franziskus eingesetzten Kinderschutzkommission an. Aus Verärgerung über die zu geringe Kooperation seitens der vatikanischen Behörden war sie im Frühjahr 2017 ausgetreten.

Auch italienische Anti-Missbrauchsverbände setzen ihre Hoffnung auf das viertägigen Gipfeltreffen im Vatikan. Der Anti-Pädophilie-Verband Meter unter der Führung des sizilianischen Priesters Fortunato Di Noto hat mit dem globalen katholischen Netzwerk Aleteia.org beschlossen, auf dessen Plattform Berichte von Missbrauchsopfern zu veröffentlichen. "Diese Zeugnisse sind die Fortsetzung meines 2011 veröffentlichten Buchs 'Wir haben das Leben wiedergefunden. Vom Missbrauch zur Widerauferstehung'. Wir berichten darin über Menschen, die es nach schwerem Missbrauch geschafft haben, sich wieder dem Leben zu öffnen", sagt Di Noto.