Facebook geht gar nicht mehr, Twitter nur über komplizierte Umwege und bei TikTok dürfen russische Nutzerinnen und Nutzer keine neuen Videos mehr hochladen.

Binnen Tagen verloren die größten sozialen Netzwerke in Russland ihre Daseinsberechtigung, die digitalen Stammtische leerten sich. Einerseits auf Bestreben der Techkonzerne selbst, andererseits verschärfen russische Behörden zusehends die digitale Zensur im Land. Russland hat dabei nicht nur die populären Dienste im Auge, es geht zunehmend auch um Infrastruktur. Heute ist diesbezüglich ein entscheidender Tag.

Ab sofort müssen die Betreiber staatlicher Online-Dienste und Webseiten auf russische Infrastruktur ausweichen. Die weltweit beherrschende Technologie zu zentraler Datenspeicherung, die Cloud-Dienste von Amazon, Google und Microsoft, dürfen nicht mehr verwendet werden. Selbiges gilt für die Analyse-Werkzeuge von Google & Co. Auch die DNS-Server – Technologie, die aus einer IP-Adresse eine merkbare Domain, etwa www.kleinezeitung.at, macht – müssen fortan in Russland angesiedelt sein. Lauter Maßnahmen, die vermehrt die Frage aufwerfen, ob Russland sich bald völlig von der internationalen Netzgemeinde loslösen wird. Ein gangbarer Weg?


"Der technische Zugang ist perfekt isolierbar. Auch Information abzuschotten, ist technisch keine Hexerei", sagt dazu Reinhard Posch, Informatiker, langjähriger TU-Graz-Forscher und "Chief Information Officer" der Bundesregierung. Auch in Österreich hätten etwa einige Ministerien aus Sicherheitsgründen ihr eigenes, von außen nicht zugängliches Netz. Schwierig sei aber, dass in Folge einer Abschottung auch "nur noch eigene Services angeboten werden können". In Russland könnte das besonders schwer wiegen. Immerhin hat sich die Zivilgesellschaft längst an die "westlichen" Online-Dienste gewöhnt. Posch: 

Und sich nicht zuletzt der vernetzte Tesla-Wagen nicht mehr sperren lässt.

Auch Thomas Lohninger, Netzaktivist bei der Grundrechtsplattform Epicenter Works, betont die gesellschaftspolitischen Dimensionen für Russland: "Ein freies und offenes Internet ermöglicht dem Grunde nach den weltweiten Austausch aller Menschen über Ländergrenzen, Ideologien, Klassen oder Bildungsgrad hinweg." Diese Völkerverständigung sei "friedensstiftend" und werde "durch Abschottungstendenzen unterlaufen". Insgesamt geht es Epicenter Works vor allem darum, "starken Datenschutz in unserer Gesellschaft zu verankern und auf die Einhaltung der Menschenrechte im Digitalen zu drängen". Davon sei in Russland keine Spur: "Dort sind die unabhängigen Nachrichtenquellen oft nur noch über das Internet oder soziale Netzwerke erreichbar. Vor diesem Hintergrund wäre eine Abschottung Russlands ein sehr gefährlicher Schritt, der dann vor allem die Menschen im Land trifft."
Aber ist es nun realistisch, dass sich Russland vom globalen Netz abkoppelt? "Eine komplette Abschottung nach chinesischem Vorbild erscheint uns kurzfristig nicht sehr realistisch", sagt Lohninger. "Die Ankündigungen der Medienbehörde können als Aufforderung zur Vorbereitung russischer Webseiten-Betreiber auf künftige Sanktionen verstanden werden."

Es sei essenziell, die russische Bevölkerung nicht noch stärker von unabhängiger Berichterstattung über den Krieg abzuschneiden. Derzeit sei das für die Menschen nur über das Internet und Anonymisierungsnetzwerke wie "Tor" möglich. Mit der Einschränkung des Netzzugangs steige auch die Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen. "Wikipedia etwa gerät angesichts seiner unabhängigen Information über den Angriffskrieg Russlands stark unter Druck", so Lohninger.

Für Moritz Yvon von den Internet Service Providers Austria (ISPA) gibt es zwei extreme Beispiele für das Kappen des Netzes: "China setzt massivste Internetzensur ein, die Rede ist von der 'Großen Firewall von China'. In Nordkorea gibt es ein eigenes 'Intranet' nur für dieses Land. Das bedeutet: kein Datenfluss nach außen, keiner nach innen." In Russland gäbe es aktuell zumindest noch "Fluchtrouten, über die man sich Informationen holt", so Yvon. Die zurzeit gefragtesten Programme sind VPN-Dienste, die Datenströme über ausländische Server umleiten und verschleiern.