Weihnachten ist vorbei, der nächste Lockdown hat begonnen. Die Polizei kontrolliert erneut die Einhaltung. Macht sich bei den Beamten Covid-19-Kontrollmüdigkeit breit?

KARL NEHAMMER: Den Beamten geht es mit dem Virus nicht anderes als allen anderen – sie sind es leid. Aber der Einsatz wird weiter entschlossen geführt und die Kontrolle der Maßnahmen wurde in den normalen Arbeitsalltag integriert.

Bald sollen die Beamten auch Coronatests kontrollieren, wenn Getestete früher aus dem Lockdown dürfen. Wie soll das ausschauen? Vor jedem Wirtshaus ein Polizist, der nach Ausweis und Testbescheid fragt?

Die Gesundheitsbehörden sind dabei, die rechtlichen Details auszuarbeiten. Dass wir bei normalen Kontrollen Testbescheide prüfen, kann ich mir nicht vorstellen. Einen Beamten vor jedem Wirtshaus wird es aber sicher nicht geben. Wir werden erst dazugeholt, wenn es hier Probleme gibt.

Apropos Probleme, rechnen Sie mit zivilem Ungehorsam zu Silvester?

Dieses Wort mochte ich nie. Ich glaube, dass mündige Bürger einschätzen können, was richtig und was falsch ist. Ich weiß, dass das Verzichten auf Partys schwer ist, ich selbst feiere auch gern. Weil die Beamten aus den letzten Jahren aber wissen, wo es immer wieder zu Problemen wie illegalen Feuerwerken kommt, wird es verstärkte Kontrollen in diesen Bereichen geben. Und die Corona-Maßnahmen werden dabei auch kontrolliert. Und wenn wir uns jetzt an die Regeln halten, haben wir nächstes Jahr wieder ein Silvester, wie wir es mögen.

Ein Schritt in diese Richtung ist die Corona-Impfung. Warum lässt sich die Regierung nicht aus Vorbildwirkung zuerst impfen, um Skeptiker zu überzeugen?

Ich werde mich auf jeden Fall impfen lassen, denn der Gedanke daran, dass ich dann wieder sorgenfrei meine Eltern besuchen kann, ist befreiend. Wenn sich die Regierung zuerst impfen lassen soll, bin ich gern dazu bereit. Aber der Gesundheitsminister hat seinen Impfplan bereits klar kommuniziert.

Ihre „klare Kommunikation“ hat Ihnen von Vizekanzler Kogler den Vorwurf der „mangelnden Sensibilität“ eingebracht. Im virologischen Quartett geben Sie den strengen Regelwächter. Wären Sie manchmal gerne sanfter?

(Lacht) Ich habe in diesem Jahr gelernt, dass der Innenminister wenig Zeit damit verbringen sollte, über die eigenen Befindlichkeiten nachzudenken. Ich glaube aber tatsächlich daran, dass man durch klare Sprache Orientierung geben kann. Gerade in Zeiten wie diesen mit komplexen Verordnungen.

Die Umsetzung komplexer Vorhaben wie Maßnahmenvollzug für Terroristen und Verbot des „politischen Islams“ hat die Regierung nach dem Anschlag versprochen. Keiner dieser Punkte hat es in das erste Paket geschafft. Woran ist man gescheitert?

Es wird Sie nicht überraschen, dass ich gegenteiliger Ansicht bin. Eine Koalition aus zwei Parteien, die sehr unterschiedliche Zugänge beim Thema Sicherheit hat, hat es geschafft, sich auf Dinge wie die elektronische Überwachung nach der Entlassung zu einigen. Und die Umsetzung berührt viele Bereiche, was juristisch komplex ist.

Warum geht man dann mit plakativen Überschriften hinaus und suggeriert Zeitnähe, wenn klar ist, dass eine Umsetzung des Maßnahmenvollzugs beispielsweise erst nach Jahre verschlingenden Reformprozessen überhaupt angedacht werden kann?

Natürlich brauchen diese Dinge Zeit und das muss man auch so kommunizieren. Aber man muss sich diese Ziele setzen, um sie umsetzen zu können. Und wir haben uns für diese Umsetzung auch ambitionierte Zeithorizonte gesetzt. An der juristischen Umsetzung wird derzeit gearbeitet.

Corona hat das frühere Dauerthema Migration verdrängt. Was wird passieren, wenn sich die Infektionslage entspannt und die Grenzen wieder aufgehen?

Allein in Bosnien und Serbien sind derzeit rund 20.000 irreguläre Migranten, die nicht dort bleiben werden, sobald die Grenzen offen sind. Hier müssen wir schon jetzt handeln, Österreich wird das mit gezielter Rückkehrberatung vor Ort tun. Denn ein Großteil dieser Menschen hat kaum Chancen auf Asyl. Diese Aufgabe ist komplex. Jetzt werden Sie wahrscheinlich sagen: Na ja, Herr Minister, dass das komplex ist, wissen wir schon lange, wie soll sich das ändern?

Ganz genau.

Es gibt nun mehr Dynamik. Die Europäische Union hört zu, wenn Österreich sagt, dass wir von Migration enorm belastet sind. Dort hat man mittlerweile verstanden, dass wir nicht die erste Adresse sein können, wenn es um Verteilung geht. Und jene, die jetzt fordern, einzelne Menschen aufzunehmen, sollten sich auch die Leistung ansehen, die wir hier bereits erbracht haben.

Sollten Sie diese Leistung dann nicht mir, sondern dem Bundespräsidenten erklären? Auch der fordert Aufnahmen.

Politik ist immer auch eine Bewertung. Ich habe Ihnen dargelegt, wie ich die Dinge auf Basis von Fakten bewerte. Der Bundespräsident bewertet das anders, im Übrigen auch der Koalitionspartner. Dass in Griechenland Kinder im Dreck leben, kann nicht sein. Das ist eine Frage der Organisation vor Ort, bei der wir auch gerne helfen. Ich bin aber überzeugt, dass unser Weg der richtige ist. Und ich argumentiere das auch gern.

Jene, die hier um Asyl ansuchen, werden von der neuen Bundesbetreuungsagentur versorgt, die Beratung beginnt mit Jänner. NGOs kritisieren, dass ein Staat, der wenig positive Asylbescheide will, die Rechtsberatung übernimmt. Können Sie das nachvollziehen?

Die Beratung wird qualitativ und unabhängig durchgeführt werden, um diesen Anscheinsvorwürfen entgegenzutreten. Hier wird mit Jänner gewissenhaft und gut gearbeitet.

Weniger gut arbeitet Ihre Behörde, die für die Entscheidung über Asyl zuständig ist. 79 Prozent der Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl werden aufgehoben oder abgeändert. Was läuft hier falsch?

Die Verfahren sind aufwendig und in der Prüfung sehr komplex. Aber ja, das muss man sich anschauen. Ein Qualitätsbeirat wurde eingesetzt und es wird verbesserte Abläufe geben.

Ein letzter Rückblick auf 2020: Was war Ihr größter Erfolg, was Ihre größte Niederlage?

Ich glaube, dass Erfolge in der Politik andere bewerten sollen. Bei Misserfolgen geschieht das ohnehin, was gut ist in einer Demokratie. Eine persönliche Bewertung werde ich Ihnen erst nach meiner Amtszeit liefern können. Dieses Jahr mag zu Ende gehen, man selbst ist aber in einem fließenden Prozess.