Über Gendern wird derzeit ja viel diskutiert. Auch Ihr Buch kommt um dieses Thema nicht herum. Der Titel lautet: „Körpersprache gendert nicht“. Wie kann man das verstehen?
STEFAN VERRA: Körpersprache per se hat kein Geschlecht. Jeder Mensch kann jede Mimik und Gestik machen, es gibt nichts, was ein Geschlecht nicht könnte. Und doch gibt es Signale, die nahezu ausschließlich Frauen bzw. Männer zeigen. Spätestens ab der Pubertät dient Körpersprache dazu, uns weiblich oder männlich wirken zu lassen. Und das Prinzip der geschlechtsspezifischen Körpersprache ist ganz simpel. Wir haben kleine körperliche Unterschiede zwischen Mann und Frau. Unterschiedliche Gelenkstrukturen, Hormonhaushalte oder unterschiedlichen Knochenbau. Was wir also tun, ist, diese Unterschiede so zu betonen, dass sie eindeutig sichtbar werden.

Wieso betonen Menschen unbewusst diese Unterschiede?
Partnersuche hat evolutionär betrachtet den Sinn der Vermehrung. So ist es eine Notwendigkeit, zu zeigen, ob wir Mann oder Frau sind. Darüber hinaus steckt auch ein strategischer Grund dahinter. Nachdem wir genau die Fähigkeiten suchen, die wir selber nicht haben, verbünden wir uns also mit jemandem, der diese Fähigkeiten körpersprachlich verspricht. Kraft, Durchsetzungsfähigkeit und auf der anderen Seite Bindungs- und Empathiefähigkeiten.

Ist also beim Kennenlernen die Körpersprache entscheidender als so manch anderes?
Der Mensch verliebt sich in die Körpersprache. Viele glauben immer, es wären die inneren Werte. Nein, es ist die Körpersprache. Kurz gesagt: Wenn man in einer Bar auf Partnersuche ist und seinen Blick durch den Raum schweifen lässt, muss ein Mensch zuallererst den körpersprachlichen Normen entsprechen, die man sucht. Damit man jemanden interessant findet, muss diese Körpersprache auch versprechen, dass derjenige meine emotionalen Bedürfnisse befriedigen kann.

Wie leiten wir solche Dinge von der Körpersprache ab?
Wenn man auf der Suche nach Abenteuer, Agilität und Lebensfreude ist, der andere aber alleine durch seine Haltung schon wie eine Schlaftablette wirkt, wird man ihn nicht anziehend finden. Oder ein anderes Beispiel: Wenn man nach jemandem sucht, der einem Stabilität und Sicherheit gibt, aber jemanden sieht, der die ganze Zeit aufgedreht und in Bewegung ist – dann kann dieser Mensch noch so ein netter Gesprächspartner sein, aber als Partner kommt er nicht infrage.

Heißt das, wir sortieren anhand der körperlichen Signale aus, wer für uns infrage kommt?
Lernt man jemanden kennen, gibt es so etwas wie einen Filter, den wir darüberlaufen lassen. Und dieser Filter heißt Rhythmus. Wenn der Rhythmus nicht zusammenpasst, sind wir nicht interessiert. Das kennt jeder von Gesprächen, bei denen man das Gefühl hat, der andere lässt einen nicht zu Wort kommen – oder umgekehrt: Man hat das Gefühl, dem Gegenüber jedes Wort aus der Nase ziehen zu müssen. Das gilt auch für die nonverbalen Signale, da diese auf uns wirken, schon bevor wir überhaupt Worte wechseln.

Aber wie passt das mit neuen Arten des Kennenlernens wie etwa Onlinedating zusammen?
Tinder & Co. sind wahnsinnig mühsam für die Partnersuche. Da hat man ein Foto und etwas Geschriebenes, und in diese Dinge interpretiert man dann hinein. Ein Beispiel: Ein Mann schreibt, er sei entscheidungsfreudig und agil. Dann trifft man ihn zum ersten Mal und er kann sich im Lokal für nichts entscheiden und hat nicht einmal den Mumm, den Kellner herbeizurufen. Diesen Mann würde man – wenn man jemanden sucht, der entscheidungsfreudig und agil ist – im richtigen Leben überhaupt nie in Betracht ziehen, weil er mit seiner Körpersprache schon so viel Unentschlossenheit zeigt.

Bedeutet das aber auch, dass es keine „richtige“ und „falsche“ Körpersprache gibt? Sondern, dass es darauf ankommt, was man sucht und ob sich das in der Körpersprache des anderen widerspiegelt?
Genau. Sonst würden wir alle nur die gleichen Menschen heiraten wollen. Wichtig ist, dass die Körpersprache das signalisiert, was man sucht. Und dabei ist es unerheblich, ob man die Arme verschränkt oder gestikuliert. Viel wichtiger ist, wie man die Arme verschränkt und gestikuliert. Denn daraus interpretieren wir die Persönlichkeit. Wer sich dessen bewusst ist, kann geschlechtsspezifische Stärken des anderen für sich nutzen. Das gilt in der Partnersuche wie auch im Berufsleben.