So schnell konnten viele in Berlin gar nicht gucken. Wo eben noch eine Bar coronawehmütig mit einem Aushang versprach „Wir kommen wieder“, flatterte schon bald ein Banner im frischen Frühlingswind: „Corona-Schnelltests. Kostenlos“. Seit gut einer Woche haben nicht nur die Berliner Biergärten wieder geöffnet, sondern auch Freibäder und Fitnessstudios. Shoppen ist ebenfalls nicht mehr nur nach vorheriger Terminvergabe möglich, sondern auch spontan mit Registrierung. Einzige Voraussetzung: ein negativer Corona-Test.

„Bürgertest“ taufte die Berliner Landesregierung den Nachweis stolz. Bundesweit ist festgelegt, dass ein Nachweis pro Woche kostenlos ist. Doch längst gehört das tägliche Testen zum Alltag wie Joggen und Schwimmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel ätzte früh über das „Testen und Bummeln“. Jetzt interessieren sich auch die Ermittler. Medien wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hatten über Unregelmäßigkeiten in den Testzentren berichtet, nicht nur mit Blick auf die medizinische Sorgfalt rund um die Nachweise, sondern auch bei der Zahl der abgerechneten Tests. Deutschland steht vor einer Betrugswelle.

Kritik an Spahn und Scheuer

Die Masche ist denkbar einfach: Der Staat stellt die Testkits zur Verfügung. Gratis. Die privaten Testcenter rechnen mit der Kassenärztlichen Vereinigung ab: 18 Euro pro Test, 21 Euro, für den Fall, dass auch ein Arzt im Testcenter arbeitet. Das aber ist eher die Ausnahme. Denn vor allem findige Gastronomen haben das Geschäftsmodell schnell erkannt. Windige Abrechnungen inklusive. Denn die Zahl der in Rechnungen gestellten Test blieben unkontrolliert. Und so lautete bald die Devise: Macht Bars zu Testcentern.

Die Kritik an den Missständen trifft vor allem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte, ihm sei unbegreiflich, dass der Minister trotz der Warnungen solche Lücken für Betrüger zugelassen habe. Es „hätten von vornherein Sicherheitsmechanismen eingezogen werden müssen, um diesen Betrug zu verhindern“, klagte Amira Mohamed Ali, die Klubobfrau der Linken im Bundestag. Die FDP forderte gar die Einsetzung eines Sonderermittlers.

Spahn steht mal wieder blamiert da. Vom einstigen Hoffnungsträger der Union ist wenig geblieben. Erst der schleppende Aufbau der Impfzentren, dann der Skandal um die Beschaffung von Schutzmasken – üppige Provisionen für Unionspolitiker inklusive. Nun das Desaster um die Testzentren. Spahn ist längst zum Problembär für die Union geworden. Da nutzt es wenig, dass auch Infrastrukturminister Andreas Scheuer (CSU) für die Teststrategie mitverantwortlich ist.

Strengere Regeln vereinbart

Rund 659 Millionen Euro gab Deutschland bisher für Corona-Tests aus – Beschaffungskosten für die Kits inklusive. Am Montag endlich versuchten die Behörden nachzusteuern. Bei einem Treffen Spahns mit den Gesundheitsministern der Bundesländer wurden strengere Auflagen vereinbart. Die Zahl der mit den Krankenkassen abgerechneten Tests soll künftig mit den an ein Zentrum gelieferten Kits abgeglichen werden. Auch Steuerbehörden sollen in den Informationsfluss der Zahlungen miteingebunden werden. Doch gibt es weiter Streit über die Frage, wer den medizinisch einwandfreien Ablauf der Tests in den Zentren überprüfen soll. Die Gesundheitsämter der Kommunen seien schon jetzt überlastet, warnte der Städte- und Gemeindebund.

Spahn zeigte sich in der ARD-Sendung „Anne Will“ jetzt empört über das betrügerische Vorgehen der Testzentrumsbetreiber. Wer sich an der Pandemie bereichere, sollte sich schämen, so der Gesundheitsminister. „Auf solche Scham sollte der Staat nie zählen“, bilanzierte die „Süddeutsche Zeitung“. So rüttelt das Desaster um die Teststrategie auch am Selbstverständnis Deutschlands. Als Organisationsweltmeister sieht sich das Land gerne.

Die Pandemie scheint anderes zu belegen. Der Aufbau der Impfzentren, Schutzmasken, betrügerisches Vorgehen in den Test-Zentren. Der deutsche Staat schwächelt. Schon droht die nächste Blamage. Am Dienstag geht der digitale Impfpass der EU an den Start, bis 1. Juli sollen die Mitgliedstaaten folgen. Er hoffe, dass Deutschland das schaffe, stichelte der zuständige EU-Justizkommissar Didier Reynders zuletzt in Brüssel. Die Pandemie legt die deutschen Problemzonen schonungslos offen.