Der Erste Weltkrieg kam mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandes in der Villa Giusti bei Padua am 3. November 1918 zwar auch für das damalige Österreich zu einem offiziellen Ende. Dieses Datum markiert jedoch nicht einfach den Beginn einer Befriedung und Normalisierung der Verhältnisse. Denn der Krieg beziehungsweise die durch ihn in Gang gesetzte „Entfesselung bis dahin ungekannter Zerstörungsgewalt“ (Bernd Weisbrod) gingen in vielerlei Hinsicht weiter – vor allem auf der Ebene des Alltags.

Da waren zum einen die schier unzähligen Situationen der Trennung und des definitiven Verlusts nahestehender Menschen, was ungeachtet eines öffentlich gestalteten, tendenziell heroisierenden Gefallenengedenkkults kaum je bewältigt werden konnte. Zahlenangaben, die in der Fachliteratur oft voneinander abweichen, weil sie nie mehr genau fixiert werden können, machen das nur in Ansätzen deutlich: Zumindest etwa 1,2 Millionen, wenn nicht – nach früheren Schätzungen – bis zu 1,46 Millionen Soldaten aus Österreich-Ungarn hatten den Krieg nicht überlebt, davon stammten aus dem damaligen Österreich (Cisleithanien) schon bis Ende 1917 rund 650.000 Männer, und alles in allem vermutlich fast 200.000 aus den dann zur Ersten Republik gehörenden Gebieten. Sie hinterließen dort etwa 120.000 Hinterbliebene, das heißt vor allem Kriegswitwen und -waisen.

Mehr als 140.000 „Kriegsbeschädigte“ galt es staatlicherseits ebenfalls zu unterstützen, sie konnten nur teilweise wieder in ein Arbeitsverhältnis integriert werden. Ihre körperlichen Verstümmelungen und ihr oftmaliges Elend waren im städtischen wie ländlichen Alltag unübersehbar, sie hielten so auch in der Nachkriegszeit die Erinnerung an den Krieg wach. Doch auch für die im Zuge der vielerorts chaotisch verlaufenden Demobilisierung der k. u. k. Armee körperlich unversehrten Heimkehrer gestaltete sich die gesellschaftliche Integration vielfach schwierig. Das gilt nicht nur für die Soldaten selbst, sondern auch für Militärärzte, in Kriegsspitälern oder Lazaretten unterschiedlichster Art ebenfalls tätig gewesene Ärztinnen und Zehntausende von Kriegskrankenpflegerinnen sowie die seit 1917 rekrutierten „weiblichen Hilfskräfte der Armee im Felde“, die oft ebenso in den Operationsgebieten gearbeitet hatten. Sie trafen in der Heimat, so nicht an eine frühere Berufstätigkeit angeknüpft werden konnte, auf einen durch steigende Arbeitslosigkeit gekennzeichneten Arbeitsmarkt, an dem in Entsprechung Interessens- und Geschlechterkonflikte heftiger denn je ausgetragen wurden. Zudem hatten sich die Konstellationen in vielen Familien geändert, was eine Kommunikation über die oft traumatisierenden Erfahrungen im industrialisierten Krieg wohl zusätzlich erschwerte. Die meist jahrelange Trennung setzte zu; so kannten viele Kinder ihren Vater nicht oder hatten sich, wie wir etwa auch aus Kindheitserinnerungen wissen, diesem ‚entfremdet‘.

Auch viele Ehepaare mussten sich wieder aneinander gewöhnen, vor allem wenn sie angesichts der Kriegssituation rasch geheiratet hatten, Männer mit einer erhöhten Selbstständigkeit der Frauen nicht zurechtkamen oder im Laufe eines langen Kriegseinsatzes überhaupt den Bezug zur veränderten Heimat verloren hatten. Das gilt ähnlich für die geschätzten 2,77 Millionen Kriegsgefangenen aus der Habsburgermonarchie, die zu etwa drei Vierteln in russischen, aber auch in italienischen, serbischen, französischen und rumänischen Lagern stationiert waren und – so sie nicht zu den in der obigen Zahl nicht inkludierten, rund 453.000 in Kriegsgefangenschaft gestorbenen Männern zählten – vielfach erst 1921/22 zurückkehrten. Dennoch waren es letztlich vor allem familiale beziehungsweise verwandtschaftliche Solidargemeinschaften, die in dieser Situation eine hohe Integrationsleistung erbrachten – auch bei ehemaligen Berufsoffizieren, für die nach Kriegsende zunächst alles verloren schien. Sie wurden für die Katastrophe verantwortlich gemacht und im Zuge ihrer Heimkehr vielfach öffentlich gebrandmarkt, was im Privaten als entehrende Degradierung und Schande wohl lange nachwirkte, selbst wenn ihnen zusätzlich Kameradschaftshilfe zukommen mochte, die ihre Situation allmählich verbesserte. Die meisten Menschen beschäftigte in der unmittelbaren Nachkriegszeit aber vordringlich anderes. Denn das Kriegsende brachte kein Ende des Mangels, des Frierens, des Hungerns. Das trifft nicht nur auf die Arbeiterschaft oder gesellschaftliche Unterschichten insgesamt zu; auch der Mittelstand war verarmt, die gezeichneten Kriegsanleihen allesamt wertlos geworden und die Inflation blieb bis 1922 hoch. Dabei verschlechterte sich die Versorgung mit notwendigen Bedarfsgütern und Lebensmitteln vielerorts noch, da es nun, bedingt durch den Zerfall der Monarchie, zum Wegfall von Lieferungen aus Ungarn, aber auch aus dem nunmehrigen Polen oder der Tschechoslowakei kam und die österreichische Landwirtschaft keine Ressourcen mehr hatte. Angesichts dieser Not blieben Rationierungsmaßnahmen fast überall bis in die frühen 1920er-Jahre hinein aufrecht, und man musste sich weiter anstellen, um zugeteiltes Essen und andere Waren zu bekommen. Oder man ging Hamstern, tauschte, was möglich war, gegen Brot, Fleisch, Gemüse bei den Bauern, denen daher noch lange nachgesagt wurde, dass sie „Kriegsgewinnler“ seien. Trotzdem blieb der Gesundheitszustand vieler Menschen extrem schlecht.

Es grassierten Krankheiten und Todesfälle, vor allem durch die Spanische Grippe, die allein in Wien vom dritten Quartal 1918 bis zum dritten Quartal 1919 offiziell in rund 4500 Fällen, unter Hinzunahme der im selben Zeitraum an einer Lungenentzündung Verstorbenen sogar bei doppelt so vielen Personen tödlich endete; in ganz Österreich sollen es zwischen 30.000 und 40.000 Menschen gewesen sein. Außerdem starben allerorts noch immer mehr Menschen als vor dem Krieg an Tuberkulose, viele Kinder litten an Rachitis oder anderen Mangelerscheinungen.

Beobachter waren alarmiert über deren schlechten Gesundheitszustand und die dramatisch zunehmende Sterblichkeit unter Kindern und Jugendlichen – wiederum vor allem, aber nicht nur, in Wien, wo sich zum Beispiel bei einer Untersuchung von 56.844 Schulkindern zeigte, dass 91 Prozent davon unterernährt waren. Wenig verwunderlich reagierten die Menschen auf all das auch mit Protest, selbst wenn die Rätebewegung der ersten Monate nach Kriegsende in den meisten Regionen Österreichs keine breite Akzeptanz in der Bevölkerung fand. Über ihr Abebben hinaus kam es immer wieder zu Hungerkrawallen oder Teuerungsdemonstrationen und anderen öffentlichen Aktionen bis hin zu Plünderungen, an denen, wie schon im Krieg, nicht zuletzt viele Frauen und Kinder teilhatten – und zwar wiederum auch in ländlichen Gebieten.
Dagegen halfen selbst die mehr oder weniger rasch in Gang gesetzten, zum Teil dezidiert auf die Herstellung politischer Ruhe und Ordnung zielenden Hilfsprogramme zunächst wenig. Sie blieben dann gleich für einige Jahre in Österreich aufrecht, wie das umfassende Programm des Obersten Rats der Alliierten unter der Leitung des späteren US-Präsidenten Herbert Hoover, über das allein 1918/19 Lebensmittel und Kleider im Wert von rund 100 Millionen Dollar gespendet wurden, oder eigene Hilfsmaßnahmen der Quäker aus den USA und England, die 1919 nach Wien kamen und hier zuerst Kinder und junge Mütter, dann auch die breitere Bevölkerung und Spitäler mit Lebensmitteln, Kleidung, Schuhen und Geld unterstützten.

Andere „Ausspeisungen“ wurden durch die „Amerikanische Kinderhilfsaktion“ ebenfalls im Rahmen der „American Relief Administration“ ermöglicht, daneben gab es angesichts der dramatischen Situation weitere eigene „Kinderhilfsaktionen“. Diese knüpften indirekt an von Österreich-Ungarn selbst schon in der letzten Kriegszeit organisierte Maßnahmen zur Verschickung von hungernden Kindern aus der Stadt aufs Land oder in die Schweiz an, was nun auf eine Reihe anderer neutraler Länder ausgeweitet wurde. Neben der Schweiz waren dies die Niederlande, Schweden und, einer privaten Initiative folgend, Dänemark.
Allein in dieses Land sollen im Zuge der „dänischen Kinderhilfsaktion für Wien“ von November 1919 bis September 1920 rund 12.000 Kinder, viele davon mehrfach, geschickt worden sein, um in Pflegefamilien wieder zu Kräften zu kommen.

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