Auf dem Platz vor dem Hennepin County Government Center in Minneapolis brach Jubel aus, als sich unter den versammelten Demonstranten das Urteil verbreitete: Schuldig. In allen Punkten. Gerade hatten in dem Regierungsgebäude die Geschworenen ihre Entscheidung im Prozess gegen den ehemaligen Polizisten Derek Chauvin verkündet. Ihm war vorgeworfen worden, im vergangenen Mai den Afroamerikaner George Floyd getötet zu haben, indem er fast neuneinhalb Minuten sein Knie auf dessen Hals gedrückt hatte.

Derek Chauvin ist sein Mörder

Das Video von Floyds Todeskampf ging um die Welt, es löste die größte Protestbewegung in der Geschichte der USA aus. Trotzdem blieben bis zum Ende Zweifel, ob die Jury Chauvin tatsächlich verurteilen würde. Zu häufig waren in der Vergangenheit in den USA Polizisten trotz scheinbar überwältigender Beweise freigesprochen worden, wenn Afroamerikaner durch sie ums Leben kamen. Doch in diesem Fall kam es anders. Die Geschworenen haben festgestellt: George Floyd wurde ermordet. Und Derek Chauvin ist sein Mörder.



Das Urteil war mit Spannung erwartet worden. Gerade in Minneapolis war die Stimmung zuvor aufgeladen. Die Stadt im Bundesstaat Minnesota hatte sich auf Proteste eingestellt, doch in der Nacht blieb alles friedlich. An der Kreuzung, an der Floyd sein Leben verlor, feierten Demonstranten bis tief in die Nacht, begleitet von "Black Lives Matter"-Sprechchören. Der Straßenzug trägt mittlerweile den Namen George Floyd Plaza. In anderen US-amerikanischen Großstädten wie New York, Philadelphia und Los Angeles kam es ebenfalls zu spontanen Freudendemonstrationen.



Auch die Angehörigen des Ermordeten zeigte sich mit dem Schuldspruch zufrieden. Er habe "Freudentränen geweint", sagte Floyds Bruder Rodney. Sein jüngerer Brüder Philonise sagte: "Wir können wieder atmen." – eine Anspielung auf den Satz "I can't breathe", den George Floyd mehr als 20 Mal sagte, als Chauvins Knie ihm die Luft abschnitt und der zu einem Schlachtruf der Black-Lives-Matter-Bewegung wurde, die sich gegen Polizeigewalt in den USA einsetzt. Familienanwalt Ben Crump sprach zudem von "schmerzhaft verdienter Gerechtigkeit". Bürgerrechtler Al Sharpton betonte bei einer Pressekonferenz mit der Familie, man feiere nicht, dass ein Mann ins Gefängnis müsse. "Es wäre uns lieber, wenn George noch am Leben wäre."

Doch das Urteil löste nicht nur im Familienkreis oder in Minneapolis Reaktionen aus. Auch US-Präsident Joe Biden meldete sich zu Wort. "Es war Mord im hellen Tageslicht", so das Staatsoberhaupt in einer Fernsehansprache. Es sei jedoch "zu selten", dass das US-amerikanische Rechtssystem Fairness für schwarze Amerikaner herstelle. Der Schuldspruch, so Biden, könnte ein "riesiger Schritt" sein, Gerechtigkeit in den USA herzustellen.

Obama mit klarem Kommentar

Auch Bidens Vor-Vorgänger Barack Obama meldete sich zu Wort. "Wahre Gerechtigkeit erfordert, dass wir die Tatsache einsehen, dass schwarze Amerikaner anders behandelt werden, jeden Tag", so der frühere US-Präsident. "Wir müssen anerkennen, dass Millionen unserer Freunde, Familienangehörigen und Mitbürger in Angst leben, dass ihre nächste Begegnung mit der Polizei ihre letzte sein könnte." Die USA bräuchten ein tiefgreifendes Umdenken und Reformen, um die Ungleichbehandlung durch Polizei und Justiz zu verringern.

Die Demokraten im Kongress hoffen nun, dass das Urteil einer ihrer Gesetzesvorlagen Rückenwind verschaffen könnte, die sich genau diesem Ziel annehmen soll. Der nach dem Ermordeten benannte "George Floyd Justice in Policing Act" würde unter anderem Racial Profiling verbieten, Polizisten Würgegriffe als Zwangsmaßnahme verbieten und ein landesweites Register einführen, in dem polizeiliches Fehlverhalten festgehalten würde. Im vergangenen Jahr scheiterte die Vorlage am Widerstand der Republikaner im Senat. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse in der oberen Kongresskammer sind die Erfolgsaussichten auch in diesem Jahr unsicher. Das von den Demokraten kontrollierte Repräsentantenhaus hat das Gesetz bereits im März verabschiedet.

Derek Chauvin wird den Fortgang dieser Debatte aus dem Gefängnis verfolgen. Er wurde in Gewahrsam genommen, nachdem die Jury den Schuldspruch verkündet hatte. Während des Prozesses war er auf Kaution auf freiem Fuß. Wie lange er hinter Gittern bleiben wird, ist derzeit noch nicht klar. Richter Peter Cahill will das Strafmaß in acht Wochen verkünden. Theoretisch könnte Chauvin zu bis zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt werden, doch eine Strafe in dieser Höhe ist unwahrscheinlich.

Die Staatsanwaltschaft dringt allerdings bereits darauf, den Ex-Polizisten zu einer langen Haftzeit zu verurteilen. Es wird erwartet, dass Chauvin gegen des Urteil in Berufung gehen wird.