In der russischen Teilrepublik Tschetschenien kommt es insbesondere in Bezug auf sexuelle Minderheiten zu "sehr schweren Menschenrechtsverletzungen" und dafür verantwortliche Sicherheitskräfte scheinen Straflosigkeit zu genießen. Zu diesem Schluss kommt ein am Donnerstag im permanenten OSZE-Rat in Wien präsentierter Bericht, den der Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek im November verfasst hat.
"Die Beweise zeigen deutlich, dass die Vorwürfe sehr ernster Menschenrechtsverletzungen in der tschetschenischen Republik der Russischen Föderation bestätigt werden können. Dies betrifft insbesondere Vorwürfe von Schikanen und Verfolgung, von willkürlichen oder illegale Festnahmen, Folter, erzwungenem Verschwinden und von Exekutionen außerhalb eines rechtlichen Rahmens", schrieb Benedek. Man habe einige Wellen von Menschenrechtsverletzungen auf Grundlage der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität im Jahr 2017 bestätigen können, weitere Säuberungsaktionen seien in Bezug auf angebliche Drogensüchtige und Teenager identifiziert worden.
Hart kritisierte der Grazer aber auch den Umstand, dass Behördenvertreter in Tschetschenien für diesbezügliche Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen werden: "Dieser Befund wird durch die Tatsache bestätigt, dass kein einziger Fall bekannt ist, in dem ein Angehöriger der Sicherheitskräfte für Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt worden wäre", heißt es im Bericht.
In ebenso veröffentlichten Empfehlungen legte der Grazer Völkerrechtler dem russischen Staat unter anderem nahe, angesichts deutlicher Beweise für sukzessive Säuberungsaktionen in Bezug auf LGBTI-Personen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle, Anm.) eine Untersuchung der Handlungen der tschetschenischen Regierung einzuleiten. Zudem gelte es sicherzustellen, dass sich die Behörden in der Teilrepublik an russische Gesetze halten und russische Verpflichtungen im Rahmen internationaler Menschenrechtsbestimmungen einhalten. Tschetschenien selbst empfahl er die Existenz nicht-heterosexueller Menschen in der Republik anzuerkennen und ihre Verfolgung zu beenden.
16 OSZE-Mitgliedstaaten hatten im November 2018 den sogenannten "Moskauer Mechanismus" der OSZE in Gang gesetzt und Wolfgang Benedek mit der Erstellung eines Berichts zur Menschenrechtssituationen in Tschetschenien beauftragt. Neben der fragwürdigen strafrechtlichen Verfolgung des prominenten Menschenrechtlers Ojub Titijew, hatten sich die 16 Staaten für die angebliche Ermordung von 27 Tschetschenen interessiert, die Anfang 2017 wegen ihrer Zugehörigkeit zu sexuellen Minderheiten getötet worden sein sollen. Benedek sah diese schlimmen Befürchtungen nun als erwiesen an, sein Bericht basiert auf Kommunikation mit Betroffenen und Aktivisten sowie der Auswertung schriftlicher Unterlagen.
Benedeks ursprünglicher Plan, auch in Moskau mit Behördenvertretern zu konferieren, war am Widerstand des russischen Staates gescheitert. "Wir sind nicht in der Position, ihren Besuch in der Russischen Föderation als OSZE-Berichterstatter im Rahmen des 'Moskauer Mechanismus' zu arrangieren", schrieb der stellvertretende russische Missionschef bei der OSZE in Wien, Wladimir Scheglow, am 16. November an den Völkerrechtler. Russlands Menschenrechtsbeauftragte, das russische Justizministerium und das staatliche Ermittlungskomitee ließen Anfragen gänzlich unbeantwortet.
Seine Erkenntnisse haben nach Ansicht Benedeks aber auch Relevanz für den Umgang mit Flüchtlingen aus Tschetschenien. "Die Feststellungen des Berichts hinsichtlich der Straflosigkeit der Sicherheitskräfte erscheinen mir von allgemeiner Bedeutung. Freilich ist deren Relevanz anders als bei LGBTI-Personen jeweils im Einzelfall zu prüfen", erklärte der Grazer am Donnerstag gegen der APA. Wer aus politischen oder religiösen Gründen Tschetschenien verlassen habe, sollte nach der Genfer Flüchtlingskonvention ohnedies Asyl bekommen, ergänzte er.