Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat beim Forum Alpbach ein starkes Plädoyer für die EU gehalten. Bei allen Herausforderungen und Notwendigkeit zur Reform dürfe man "nie vergessen, was die Europäische Union ist: Nämlich das größte Erfolgsprojekt des 20. Jahrhunderts", sagte Kurz am Montagabend bei einer Diskussionsrunde über die Prioritäten der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft.
Für 500 Millionen Menschen sei durch die EU "Friede, Freiheit und Wohlstand" garantiert. Auch über die Grenzen Europas hinaus sorge die EU für Stabilität und Entwicklung und sei mittlerweile der größte Zahler von Entwicklungszusammenarbeit weltweit. Kurz sprach sich deshalb für ein "gesundes europäisches Selbstbewusstsein" aus, auch wenn es mitunter so wirke, "als wären wir überfordert - zu langsam, um im internationalen Wettbewerb mitzuhalten, zu zerstritten, um gemeinsame Linie zu finden, zu schwach, um den Großmächten die Stirn zu bieten".
EU brauche Kurskorrekturen
Die EU müsse aber ihr Fundament stärken und brauche Kurskorrekturen. "Das Fundament der EU ist nicht die Summe an Förderungen, die verteilt werden, die Zahl der Beamten in Brüssel oder unsere Wirtschaftsleistung. Das Fundament der EU sind unsere Grundwerte: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Freiheit und dabei dürfen wir keine Kompromisse machen. Unser Fundament macht aber auch aus, dass wir in Friede, Sicherheit und Stabilität leben. Und dieses Fundament müssen wir stärken, durch mehr Kooperation, verstärktes Sprechen mit einer Stimme nach außen und einen ordentlichen Außengrenzschutz", so Kurz. "Es gibt Luft nach oben, aber es ist falsch, die ganze Union ständig infrage zu stellen."
Ein besonderes Anliegen für Österreichs EU-Ratsvorsitz sei zudem die Erweiterung der EU um die Westbalkan-Staaten. "Die Europäische Union ist nicht komplett ohne unsere Nachbarstaaten am Balkan. Es steht ihnen zwar noch ein Reformweg bevor, aber das Ziel muss ganz klar sein, dass sie alle Mitglied der Europäischen Union werden." Der Kanzler ortet diesbezüglich "ermutigende Schritte": etwa die Lösung der Namensfrage zwischen Skopje und Athen, den Freundschaftsvertrag zwischen Skopje und Sofia oder die jüngste "spürbare Annäherung" zwischen Serbien und Kosovo.
Im Redemanuskript sicherte Kurz auch Unterstützung im Falle einer akkordierten Grenzänderung zwischen Belgrad und Pristina zu. "Ich kann nur sagen, wenn sich Serbien und der Kosovo friedlich und gemeinsam auf eine Änderung ihres Grenzverlaufs einigen können, wird sich Österreich dem sicher nicht entgegenstellen", hieß es dort.
Pro-europäische Töne
Der Bundeskanzler, der am Montag seinen 32. Geburtstag feierte, wirkte in Alpbach pro-europäischer als noch in den vergangenen Monaten. Das Thema Migration war nur am Rande Thema, das Wort Außengrenzschutz nahm Kurz nur einmal in den Mund. Und angesprochen auf Aussagen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, wonach Migration nicht das bedeutendste Thema sei, meinte Kurz: "Er hat recht, weil die wichtigste Frage in der Union im Moment für uns ist, den Brexit ordentlich abzuwickeln. Wenn das scheitert, wird uns das allen wirtschaftlich schaden. Wenn ich mir was zum Geburtstag wünschen kann, wäre es, einen Hard Brexit zu vermeiden und zu einem ordentlichen Verhandlungsergebnis beizutragen."
Kritik übte der Bundeskanzler an Italien, das zuletzt mit einem Zahlungsstopp ins EU-Budget gedroht hatte, falls andere EU-Länder keine Unterstützung bei der Flüchtlingsverteilung zeigten. "Das gehört scharf zurückgewiesen, sonst macht das irgendwann Mode." Mit solchen Drohungen "sollte man sehr zurückhaltend sein". Kurz glaubt aber ohnehin nicht, dass die italienische Drohung ernst wird, weil das Land wegen der Situation seiner Banken noch auf die EU angewiesen sein könnte.
Zu aktuellen innenpolitischen Themen äußerte sich der Kanzler und ÖVP-Chef on the Records nicht. Am Dienstag reist Kurz mit einer Delegation zu Wirtschaftsgesprächen nach Singapur und Honkong.