Derzeit erscheinen die neuen Restaurantführer. Wie gerecht kann Kritik sein?
Eckart Witzigmann: Mittlerweile glaubt ja fast jeder, er sei berechtigt, Kritik abzugeben. Ich weiß, was Urteile auslösen können, positiv wie negativ. Von Kritikern erwarte ich Fachkenntnisse, Objektivität – der Koch soll nicht zum Spielball werden.

Wird er das?
Eckart Witzigmann: Ich denke, dass da oft ein Politikum dahinter steckt. Jeder Führer hat Favoriten, die er pflegt.

Welches System ist gerechter: Das des Guide Michelin, der Köche testen lässt? Das von Gault Millau oder A la Carte, die Gourmets einsetzen? Oder die Publikumsbewertung?
Eckart Witzigmann: Publikumstests sind gefährlich, die könnte ein Wirt mit seinen Gästen manipulieren. Michelin und Gault Millau lassen sich nicht vergleichen. Letzterer hat jüngeren Köchen schneller die Chance auf eine Spitzenbewertung gegeben. Er hat amüsante Texte, aber er geht teilweise unter die Gürtellinie. Michelin lässt sich mit den Sternen viel Zeit, ist in Summe aber wohl gerechter.

Die meisten Führer bewerten Lokale nach nur einem Besuch.
Eckart Witzigmann: Das ist ungerecht. Der Koch könnte krank sein oder Liebeskummer haben. Für ein objektives Urteil braucht man mindestens zwei Chancen. Ich möchte kein Kritiker sein, auch der hat seine Tagesform.

Ist der Unterschied zwischen zwei und drei Sternen für Otto Normalesser zu erschmecken?
Eckart Witzigmann: Nicht immer, es gibt Zweisterne-Köche, die kochen manchmal auf Dreisterneniveau – und umgekehrt. Es kommt darauf an, wie kulinarisch gebildet der Gast ist.

Erkennt man als Koch, dass ein Tester im Lokal sitzt?
Eckart Witzigmann: Verdächtig sind Gäste, die alleine kommen. Wir Köche haben uns untereinander informiert, wenn der Michelin in der Stadt unterwegs war.

Ist man nervöser, wenn Tester da sind?
Eckart Witzigmann: Ja, aber man kann das eh nur vermuten. In der "Aubergine" haben wir gewusst, dass Michelin in Karlsruhe seinen Sitz hat. Da hab ich im Verdachtsfall jemanden zum Parkplatz geschickt, ob ein Auto mit dem Kennzeichen KA draußen parkt.

Was bringen Restaurantführer?
Eckart Witzigmann: Für ein Lokal am Land sind sie ein Vorteil. In der Stadt helfen sie auch, es ist hart, Restaurants positiv zu führen. Je höher Sterne oder Hauben sind, desto mehr Aufwand. Dann kommt man leicht in finanzielle Troubles.

Die Wirtschaft crasht – haben Toprestaurants Zukunft?
Eckart Witzigmann: Doch. Die Mitte, so mit zwei Hauben, bekommt eher Probleme. Wer viel Geld für Essen ausgibt, geht lieber gleich zu den wenig teureren Besten.

Hierzulande wird Haube oft als Synonym für teuer gebraucht.
Eckart Witzigmann: Teuer ist relativ. Wenn der Gast nicht zwischen einem Sulmtaler Huhn und einem Hendl von der Batterie unterscheiden kann, dann ist es für ihn teuer. Die Wirte müssen ihre Produkte besser beschreiben.

Viele konsumieren nicht mehr im Restaurant, sondern im TV - Lafer, Mälzer, Wiener – was bringt der Fernsehkochboom?
Eckart Witzigmann: Lustigerweise nehmen Tiefgekühltes, Fertigprodukte und Fastfood zu – auf der anderen Seite kocht der Fernseher über.

Der häufigste Fehler zuhause?
Eckart Witzigmann: Falsches Equipment. Wer hat schon den richtigen Gusseisentopf zum Schmoren?

Fertigprodukte. Ein Sakrileg?
Eckart Witzigmann: Sie werden immer besser, der Gast merkt kaum Unterschiede. Viele Betriebe arbeiten damit, da geht Wissen verloren, weil Lehrlinge gewisse Gerichte nicht mehr erlernen.

Was macht einen guten Koch aus?
Eckart Witzigmann: Freude, Spaß am Beruf. Das sollte im Elternhaus mit Esskultur beginnen. Dann brauchst einen guten Lehrchef, Ellebogentechnik, Auslandserfahrung.

Warum werden so wenige gut?
Eckart Witzigmann: Viele sehen keinen Sinn darin, sich 16 Stunden in die Küche zu stellen. Da leidet das Privatleben darunter.

Was hat sich seit Ihrer aktiven Zeit geändert?
Eckart Witzigmann: Der heutige Chef ist technischer geprägt. Heute stecken sie Kernthermometer in den Braten, bei uns war die Fingerspitze der Thermometer.

Wohin geht der Trend?
Eckart Witzigmann: Zu Bio und Wellness. Das ist auch die Grundidee der Nouvelle Cuisine, die leider falsch interpretiert wurde. Österreich ist bei Bio ziemlich voraus. Und es gibt Trends, die sich überholen. Die Molekularküche etwa ist genial schräg, aber irgendwo ist's wie bei der Nouvelle Cuisine: Mann sehnt sich wieder nach gutbürgerlichem Essen.