Sie sind als Dichter und Architekturkritiker seit Jahrzehnten ein unverzichtbarer Teil des heimischen Kulturbetriebs. Welche Rollen spielen beide Bereiche in Ihrem heutigen Leben?
FRIEDRICH ACHLEITNER: Ich habe eigentlich schon vor fünf Jahren aufgehört, mich mit Architektur zu beschäftigen. Für mich war das ja immer die Knochenarbeit und die Literatur das Vergnügen. Ich bin gerade beim Aufarbeiten dessen, was sich in der Schublade angesammelt hat. Ich habe viele Texte, die ich entweder wegschmeiße oder aus denen ich noch etwas machen werde.

Neben dem Band "Wortgesindel" ist erst dieser Tage "Achleitners Blick auf Österreichische Architektur nach 1945" erschienen. Untätig in Sachen Baukultur waren Sie also doch nicht ganz?
ACHLEITNER: Es rennt einem ja immer was nach, wenn man sich 50 Jahre mit einer Sache beschäftigt hat. Ich hätte nie mehr Vorlesungen gemacht, wenn mich nicht Roland Gnaiger dazu überredet hätte. So ist ein Buch entstanden, basierend auf meinen Linzer Vorlesungen, das nie geplant war, aber offenbar recht begehrt ist.

Wie sind Sie eigentlich Architekturkritiker geworden?
ACHLEITNER: Meine Freunde hatten ja das Glück, dass sie bei der Mama gewohnt und gegessen haben. Ich dagegen musste mich als Student aus Oberösterreich selber erhalten. Von der Konkreten Poesie konnte ich aber nicht leben. Dorothea Zemann, die Freundin vom Doderer, hat daher einmal zu mir gesagt: "Warum schreibst du nicht über Architektur?". Da gab es auch die Erika Hanel, die Chefin vom Pen Club und der Kulturredaktion der Abendzeitung. Das war so ein Revolverblattl, wo alle unter einem Pseudonym geschrieben haben. Also habe ich dort mit der Kolumne "Bausünden" angefangen, mit dem Schlimmsten, was man so machen kann.

Inwiefern schlimm?
ACHLEITNER: Weil man in so einer Kolumne jeden beleidigt. Die Sache war die: Wenn ich einen zerstört habe, hatte ich 100 Freunde, wenn ich einen lobte, 100 Feinde.

Haben Sie wirklich Architektenkarrieren zerstört?
ACHLEITNER: Zerstört ist vielleicht übertrieben. Ich habe in den ersten zehn Jahren eine sehr harte, ja engstirnige Kritik gemacht. Kritik können nur junge Leute machen, die zu wenig wissen. Als ich 1965 mit dem Architekturführer angefangen habe, veränderte sich meine Wahrnehmung. Während ich am Anfang nur nach Baufehlern suchte, habe ich später auf die guten Sachen und unterschiedlichen Positionen geschaut und mich gefragt: Was ist da dran? Was wollen die Leute? Und man kommt drauf: Da ist überall was dran und man wird automatisch toleranter.

Haben Sie vielen unrecht getan?
ACHLEITNER: Na klar, furchtbar unrecht. Es gab auch Verletzungen. Unsere Feinde waren die sogenannten Geschäftsarchitekten, die in den 1950ern alles gebaut haben: Büros, Siedlungen etc. Da hat man natürlich sehr viel zum Aussetzen gehabt. Wenn man sich das mit 50 Jahren Abstand anschaut, dann muss man gestehen: Die waren oft gar nicht so schlecht, wie wir geglaubt haben. Es ist das Vorrecht der Jungen, die Väter zu morden. Die Großväter sind ja wieder in Ordnung.

Haben auch prominente Planer ihre Watschen abbekommen?
ACHLEITNER: Harry Glück zum Beispiel. Mit ihm habe ich mich mittlerweile versöhnt. Er ist jetzt 90. Wir reden wieder miteinander.

Gibt es eine Spezies von Architekten, die Sie trotz Ihrer heutigen Toleranz nicht ausstehen können?
ACHLEITNER: Man hat ja seine Vorurteile. Vor allem gegenüber den Stararchitekten, die auf der ganzen Welt ihre goldenen Eier legen, ohne sich um das Umfeld zu kümmern. Mich dagegen interessiert die Vielfalt und Sachen, die aus einem Kulturraum heraus entstehen. Ich habe mich immer um Architekten gekümmert, die es schwer hatten und nicht von vornherein akzeptiert wurden. Die Stars helfen sich eh selber.

Wie würden Sie Ihre eigene Karriere als Dichter sehen, gab es auch für Sie Verletzungen?
ACHLEITNER: Nein, man hat uns einfach nur ignoriert. Es hat ja kaum jemanden gegeben, der über uns geschrieben hat.

Haben Sie noch Kontakt zu Mitgliedern der Wiener Gruppe?
ACHLEITNER: Den gibt's nur noch mit dem Gerhard Rühm. Er lebt zwar in Köln, ist aber öfters in Wien. Ich bin auch befreundet mit dem Ossi Wiener. Aber wir tauschen uns nicht mehr aus seit er Philosoph und Wahrnehmungstheoretiker ist. Davon verstehe ich zu wenig. Und die anderen - der Artmann, der Konrad Bayer - sind ja schon längst tot.