Das schwarz-grüne Projekt könnte Österreich auch in Europa zu einem Leuchtturm machen. Das haben Sie 2013 im Buch „10 Jahre Schwarz-Grün“ geschrieben. Bei der Aussage bleiben Sie auch jetzt für Türkis-Grün?
HARALD MAHRER: Natürlich. Aber es ist eine andere Frage, ob Personen, Programm und Rahmenbedingungen zusammenpassen. Das galt 2003 – und das gilt natürlich auch 2019 und 2020.

Sie waren auch „überzeugt, dass die Ökosoziale Marktwirtschaft das Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell der Zukunft ist“. Das bekräftigen Sie auch so?
Das zeigt die österreichische Wirtschaft ja täglich vor. Wir sind Europa- und Weltmeister in extrem vielen Bereichen der Klima- und Umweltschutztechnologie. Sie tragen entscheidend zu unserem Exporterfolg bei. Die Wirtschaft kann Klimaschutz.

Sebastian Kurz ist aber nicht Josef Riegler. Hat Kurz mit der Ökosozialen Marktwirtschaft etwas am Hut?
Zu 100 Prozent. Wir haben ja gemeinsam das neue Parteiprogramm 2015 entwickelt. Da war Kurz mit Gernot Blümel und Elisabeth Köstinger in unserer Reformgruppe. Wir wissen, wie man unternehmerische Freiheit mit sozialer Verantwortung und Ökologie in Balance bringt.

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen schrieb 2013 in dem Buch einen Beitrag mit vielen Pro-Argumenten für Schwarz-Grün. Dass es zum Beispiel in der Europapolitik mit den Grünen leichter wäre, gegen Verzwergung aufzutreten, als mit der FPÖ.
Ich glaube sogar, dass Alexander Van der Bellen jetzt eine noch viel bessere Sicht auf die Dinge hat, weil er eben Bundespräsident ist und Wirtschaftsdelegationen angeführt hat. Er weiß, dass Österreichs Erfolg in der Welt auf dem Motor der Exportwirtschaft basiert.

Van der Bellen war überzeugt, dass Wolfgang Schüssels Reputation in Europa mit Schwarz-Grün so stark gewonnen hätte, dass er bessere Chancen gehabt hätte, statt José Manuel Barroso EU-Kommissionspräsident zu werden. Ist das auch etwas, was Sebastian Kurz verlocken könnte?
Das ist eine reine Spekulation.

Van der Bellen spekulierte, dass für die Grünen er als Wissenschafts- und Eva Glawischnig als Umweltministerin plausibel gewesen wären, Werner Kogler und Johannes Voggenhuber als Staatssekretäre im Finanz- und Außenministerium. Würde die ÖVP diese Posten den Grünen in einer türkis-grünen Bundesregierung zugestehen?
Es ist viel zu früh, darüber zu reden. Es müssen sich unterschiedliche Parteien erst einmal dazu entscheiden, überhaupt Verantwortung übernehmen zu wollen. Bislang habe ich die letzte Woche zum Thema Verantwortung eher wenig gehört.

Van der Bellen nannte als Konflikt 2003 die Steuern, obwohl der Plan der Grünen gegen CO2 mit höheren Energie- und Verkehrssteuern bei sinkender Lohnsummensteuer eine aufkommensneutrale Reform gewesen wäre. Wäre jetzt die ÖVP bereit dazu?
Das haben die letzten Bundesregierungen auch ohne die Grünen gemacht mit immer höherer Energiesteuerbelastung, inklusive Nova, ständig teurer Vignette und Lkw-Maut. Wir sind das Land mit der siebenthöchsten Öko- und Energiebesteuerung in der OECD.

Als größte Hürde nannten Sie 2013 die Gemeinwohlökonomie der Grünen. Das sei sozialistische Zwangswirtschaft von oben. Daher ist Türkis-Grün unmöglich?
Ich kann mir den Luxus einer Präferenz als oberster Vertreter des Wirtschaftsstandorts gar nicht leisten. Ich muss darauf schauen, mit welchem Regierungspartner auch immer ein wirtschaftsfreundlicher Kurs gefahren wird. Gerade in wirtschaftlich problematischen Zeiten.

Laut Van der Bellen hätte man schon 2003 gemeinsam Erfolg mit Öko-Innovationen auf Märkten und fürs Klima erzielen können.
Das Klimathema ist breit angekommen und eine gigantische Chance für Österreich, unabhängig vom Koalitionspartner.

Die nächste Regierung muss Themen wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz vorantreiben. Ihre Pläne und Forderungen?
Wir wollen unseren Betrieben die Möglichkeit anbieten, diese Zukunftschance zu nutzen, und haben dafür eine Innovationsstrategie entwickelt. Erstes großes Thema ist, den Know-how-Transfer aus der Forschung in die Betriebe zu organisieren. Das Fraunhofer-Zentrum KI4LIFE in Klagenfurt ist ein Beispiel und solche Initiativen wollen wir in ganz Österreich setzen. Da müssen wir vonseiten des Bundes noch mehr Geld in die Hand nehmen. Bei KI-Nutzung in Betrieben führt China mit 85 Prozent, in den USA sind es 51, in Deutschland 49, bei uns 42 Prozent.

Vielen bereitet künstliche Intelligenz auch große Sorge.
Es geht nicht darum, dass Jobs ersetzt werden, sondern schwere und komplexe Arbeiten einfacher und große Herausforderungen gelöst werden können, zum Beispiel Krankheiten früh zu erkennen und besser zu heilen oder auch die Klimaprobleme in Griff zu bekommen.

Sie sind auch Präsident der Nationalbank, wo der neue Gouverneur Robert Holzmann mit einem Kündigungs-Eklat für Aufsehen sorgte. Haben Sie den Hort der Finanzstabilität im Griff?
Zu 100 Prozent. Es ist meine Aufgabe, mit dem Generalrat dafür zu sorgen, dass alle Gesetze und Vorschriften eingehalten werden, und auch mit zu unterstützen, dass das Haus wieder zur Ruhe kommt. Daher haben wir unverzüglich eine interne Prüfung in Auftrag gegeben, damit auch klargestellt ist, wie in Zukunft bei welchen Fragen vorzugehen ist.

Den Kurswechsel von Holzmann, der stärker gegen Niedrigzinsen auftritt, tragen Sie mit?
Die Spitzen der Notenbanken sind unabhängig und in der Debatte im EZB-Rat kann man unterschiedlicher Meinung sein.