Marcel Hirscher war am Tag seines Rücktritts, dem 4. September dieses Jahres, unmissverständlich deutlich: „Ein Buch? Ich hab’ doch nicht viel zu erzählen.“ Nein, so wissbegierig der Salzburger Zeit seiner Karriere war, so gering war der Drang, das Erlebte selbst aufzuschreiben, geschweige denn, einen tieferen Blick ins Innere eines Champions zuzulassen. Zu groß war der Wunsch, sich dem Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit endlich zu entziehen. Und aufschreiben lassen, das wollte Hirscher auch nicht. Jetzt ist es doch passiert: Ab Montag ist „Marcel Hirscher – Die Biografie“ im Handel.

Ein Buch, an dem Marcel Hirscher selbst zwar nicht schreiberisch mitgewirkt hat, aber dafür gleich zwei Schlüsselmitglieder seines „Team Hirscher“ – Trainer Michael „Mike“ Pircher und Hirschers Pressebetreuer Stefan Illek. Beide waren wohl – mit Ausnahme von Ehefrau Laura und der Familie rund um Papa Ferdl – naturgemäß. Wobei vor allem Pirchers Beitrag bemerkenswert ist, handelt es sich doch um den einen oder anderen Auszug aus dem Tagebuch des Steirers, der Hirscher als Privattrainer vom Österreichischen Skiverband zur Verfügung gestellt worden war.

Zusammengefasst hat das „Sportleben“ des österreichischen Superstars der Sportjournalist Alexander Hofstetter, der dafür nicht nur mit seinen Co-Autoren, sondern auch mit Freunden, Betreuern, Konkurrenten und Wegbegleitern wie anderen Journalisten, die den Weg des Salzburgers als Berichterstatter über weite Strecken begleiteten, gearbeitet hat.

Mitunter sagt man, dass der erste Satz und der Titel eines Buches die schwierigsten Dinge sind. So gesehen ist der Titel „Die Biografie“ nicht wirklich fesselnd – oder doch? Denn das Buch verspricht damit nicht mehr, als es liefert: einen Abriss der sportlichen Karriere Marcel Hirschers. Und es liefert mitunter die eigene Einschätzung des Mannes, der 67 Weltcuprennen (bei 245 Starts) gewonnen hat. Etwa über die Fähigkeit, sich mental in Regionen zu bewegen, die andere wohl nicht einmal vom Hörensagen kennen. „Das war ein Fass, das ich aufmachen konnte, wenn ich wollte und wenn ich es unbedingt brauchte. Ganz ehrlich: Manchmal war ich mir selbst ein Rätsel, wie ich das alles geschafft habe“, sagt Hirscher.

Aber das Buch handelt auch von der vielleicht größten Problemzone des vielleicht besten Skifahrers aller Zeiten – dem Umgang mit der Öffentlichkeit, dem dauerenden Druck, der Beobachtung, ja, der Verfolgung durch Fans und Medien. „Niemand hat mich auch nur im Geringsten darauf vorbereitet, was passiert, wenn du mit Anfang 20 als Österreicher den Gesamtweltcup gewinnst, im Rampenlicht stehst und bei der Heim-WM in Schladming Weltmeister wirst.“ Man kann nach manch Erlebtem nachvollziehen, warum sich Hirscher immer mehr zurückzog, warum er Jahr für Jahr länger überlegte, ob er sich alles noch einmal antun soll. Was man noch erfährt? Wann die Entscheidung, zurückzutreten, wirklich fiel. Was ihn mit Ehefrau Laura verbindet. Warum er bei Olympia ohne Ski am Start stand. Und vieles mehr ...

Auszüge aus dem Buch:

Marcel über seine mentale Stärke: „Da war ein Fass, das ich aufmachen konnte, wenn ich wollte und wenn ich es unbedingt brauchte. Ganz ehrlich: Manchmal war ich mir selbst ein Rätsel, wie ich das alles geschafft habe.“
Marcel über Olympia: „Klar bin ich froh, dass ich auch meine Olympia-Goldene hab. Und im Leben ist es halt fast immer so: in Erinnerung bleiben die schönen Dinge. Aber dieses Tohuwabohu, diese Reglementierungen. Irgendwie fühlt man sich als Sportler am Ende des Tages nur noch als Produkt. Wirklich warm bin ich mit Olympia nie geworden… Durch all diese Erlebnisse wurde Olympia für mich doch ziemlich entzaubert.“
Marcel über das WM-Abfahrtstraining 2009 in Val d’Isere: „Ich hab mich hingelegt und zu weinen begonnen.“
Marcel über seine Ehefrau Laura: „Sie hat mich als Nobody kennengelernt. Sie ist mit mir den gesamten Weg gegangen. Ohne Laura würde es all diese Kugeln und Medaillen nicht geben, ganz sicher nicht…. Die ‚first lady‘ im österreichischen Skisport!? Völliger Blödsinn. Laura konnte plötzlich nicht mehr in die Discos und Clubs gehen, in denen sie sonst gerne war. Weil alle gesagt haben: ‚He, zahl amal a Runde!‘ Nur, weil sie sich in den ‚Falschen‘ verliebt hat!? Sie hat sich wirklich einiges anhören müssen.“
Marcel über die Einfädleraffäre: „Es gab Morddrohungen gegen meine ganze Familie. Wir sind alle miteinander daheim gesessen, ich wurde von Leibwächtern bewacht und wir alle waren der Verzweiflung nah.“
Marcel über den Drohnen-Crash in Madonna: „Wäre ich eine Zehntelsekunde langsamer gewesen, wäre ich wahrscheinlich schwer verletzt oder vielleicht sogar ausgeknipst worden. So viele Schutzengeln werde ich hoffentlich nie wieder in meinem Leben brauchen.“
Marcel über die Welle der Popularität, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes überrollt hat: "„Niemand hat mich auch nur im Geringsten darauf vorbereitet, was passiert, wenn du mit Anfang 20 als Österreicher den Gesamt-Weltcup gewinnst, im Rampenlicht stehst und bei der Heim-WM in Schladming Weltmeister wirst.“
Marcel vor der WM-Kombination 2017 in St. Moritz: "Wenn’s mich auf die Goschn haut, hör ich mit dem Skifahren auf. Das ist mein voller Ernst. Dann war’s das!“
Marcel über sein letztes Gold bei der WM 2019 in Aare: "Das letzte Gold meiner Karriere hatte einen sehr hohen Preis. Noch einmal Weltmeister zu werden, das hab ich teuer bezahlt."
Ferdinand Hirscher über den jungen Marcel bei den Jugend-Meisterschaften in Turnau: „Ich hatte Marcel vor einem Hügel gewarnt. Er ist trotzdem drüberradiert und in den Wald gefahren. Marcel fuhr vom Wald zurück auf die Piste und fuhr weiter ins Ziel. Bei der Siegerehrung haben sie ausgerufen: ‚Staatsmeister in der Kombination: Marcel Hirscher!‘ Was da für ein Wirbel war, alle dachten, dass das unmöglich sei, der Hirscher ist ja im Wald gestanden. Aber er war trotzdem der Schnellste. Es war unglaublich, wie schnell der Bub skigefahren ist.“
Ferdinand Hirscher über Marcels Sölden-Sieg 2014: "Wir waren im Pitztal, nichts ist gegangen. Ich ging zum Hotel Vier Jahreszeiten und wollte mir eine Kreissäge ausborgen. Die haben mich zum Bauern gegenüber geschickt. Der Bauer hatte eine Kreissäge, allerdings mit einem komplett rostigen Sägeblatt. Mit dem hab ich die Oberfläche des Skis
von vorne bis hinten aufgeschnitten und dann präpariert. Das war dann der Ski, mit dem Marcel in Sölden mit Riesenvorsprung gewonnen hat …“