Knapp vor der Wahl erhob der bekannte Meinungsforscher Franz Sommer die Stimmung unter den Österreichern. Auch die Koalitionspräferenzen ließ er abfragen. Nur sechs Prozent sprachen sich vor zehn Tagen für Türkis-Grün aus. Das „Profil“ tischte am Wochenende eine neue Umfrage auf – mit dramatisch anderen Ergebnissen: 57 Prozent können sich ein solches Experiment vorstellen. Was ist los? Sind die Österreicher immer auf der Seite der Sieger? Oder beweisen sie einfach Realitätssinn?

Türkis-Grün ist in aller Munde, gerade bei Journalisten. Wohl liegt es auch an der Sehnsucht nach einer neuen Regierungsform, während Türkis-Blau 2 oder ein Revival der Großen Koalition nur Retro-Charme besitzen. Wie realistisch ist es, dass Österreich von den Wahlsiegern Sebastian Kurz und Werner Kogler, also von K. u. K., regiert wird?

Lothar Lockl, unter Alexander Van der Bellen und Eva Glawischnig Mastermind der Grünen und heute Strategieberater des Bundespräsidenten, lässt seine Präferenz durchklingen: „Klimaschutz ist ein Megatrend. Ein Viertel des internationalen Finanzvolumens orientiert sich an ökologischen Kriterien. Das Thema ist nicht nur in der Industrie angekommen, sondern in den Regionen, bei den Bauern. Für Österreich ist das eine riesige Chance.“

"Message unter Kontrolle"

Nach dem fulminanten Wiedereinzug in den Nationalrat treten die Grünen nicht nur sehr selbstbewusst auf. Bei der Sitzung des Bundesvorstands am Freitag bewiesen sie einmal mehr Professionalität und Disziplin: Keiner der Teilnehmer ließ sich gegenüber den Medien etwas zu den Koalitionspräferenzen entlocken, ob Türkis-Grün eine Jahrhundertchance sei oder einer Horrorvorstellung gleiche. „Die Grünen haben die Message unter Kontrolle“, titelte die Presse. Von Chaostruppe keine Spur.

Wir sind die teuersten“, meint ein Grünfunktionär unter Verweis auf die Optionen, die Kurz hat (FPÖ, SPÖ, Grüne). Die Schlüsselfrage lautet: Ist ein Schulterschluss mit der ÖVP unter Sebastian Kurz vorstellbar, ohne sich inhaltlich und ideologisch bis zur Unkenntlichkeit verbiegen zu müssen? Wie weit geht die Kompromissfähigkeit, wo endet sie? Eine Frage, die auch die ÖVP zu beantworten hätte. Wie, um ein Beispiel zu nehmen, ein Kompromiss bei der Dritte Piste aussehen könnte, ist rätselhaft. Die Grünen haben bereits in sechs Bundesländern Regierungserfahrung bewiesen, die FPÖ kann sich einiges abschauen.

Vieraugengespräch am Mittwoch

Am Mittwoch trifft Kogler Kurz zum Vieraugengespräch. Die Chemie zwischen Kurz und Kogler stimmt, die Handynummern hat man seit Jahren. Kogler, der die Partei nach der Schlappe von 2017 unter großen persönlichen Entbehrungen durch das Tal der Tränen geführt, finanziell saniert, neu aufgestellt hat, ist nach dem Comeback die unumstrittene Nummer eins. Was er sagt, hat Gewicht. In den Verhandlungen wird sich der Steirer mit Realos, Rudi Anschober, Astrid Rössler, umgeben. Das letzte Wort hat die Basis. Sollte man handelseins, entscheidet der Bundeskongress mit seinen 200 Mitgliedern über den Koalitionsvertrag. Für ein Ja zu K. u. K. reicht die einfache Mehrheit.