Es war einmal eine kleine, scheinbar feine Regionalbank im burgenländischen Städtchen Mattersburg. Beliebt bei den Menschen für gute Konditionen und ihren Boss Martin Pucher, der auch über dem SV Mattersburg das Füllhorn ausschüttete. Bis am 14. Juli vor einem Jahr die Bombe platzte. Um 23.43 Uhr untersagte die Finanzmarktaufsicht der Commerzialbank (CB) den Betrieb. Tags darauf standen verdutzte Menschen vor geschlossenen Filialen.

Einen Fall wie die CB hat es in Österreich noch nicht gegeben: Prüfer der Nationalbank fanden heraus, dass das einst von Pucher aus dem Raiffeisensektor losgelöste Geldinstitut ein Luftschloss war, ein Kartenhaus, ein – es gilt die Unschuldsvermutung – Betrug. Pucher und seine Co-Vorständin hatten über viele Jahre Guthaben und Kredite erfunden. Die Gewinne in der Bilanz – ein Fantasiegebilde. Laut Masseverwaltern war die Bank mit 705,5 Millionen Euro überschuldet. Auch ein Jahr danach steht die Frage über allem: Warum fielen die Malversationen so lange nicht auf?

Dazu sagt Andrea Schertler: „Sie müssen das perfektioniert haben. Zusammenfassend aber ist es ein Versagen der Aufsicht auf mehreren Ebenen.“ Die gebürtige Deutsche, international anerkannte Wissenschaftlerin auf dem Gebiet des Finanzwesens, lehrt und forscht seit Oktober 2019 am Institut für Banken und Finanzierung der Uni Graz. Das Versagen bei der CB ortet Schertler insbesondere in den ersten beiden Kontrollstufen, beim Aufsichtsrat und bei den Wirtschaftsprüfern. Über Jahre die immer gleichen Kontrolleure – so entstünden blinde Flecken. Beim Aufsichtsrat kamen offensichtliche Kompetenzdefizite hinzu. „Würde die Bank heute neu gegründet, würde man einen solchen Aufsichtsrat nicht mehr sehen“, verweist Schertler auf das Bankwesengesetz, das nach der Finanzkrise 2009 verschärft wurde und das die Rollen von Vorstand und Aufsichtsrat definiert. Das Hinterfragen des Ertrag-Risikoprofils etwa wäre Aufgabe des Aufsichtsrates gewesen. „Da hätte etwas auffallen müssen.“ Konkret: „Das Wachstum der Gesamtbilanz und die Gesamtrendite waren über die Zeit extrem konstant. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber sehr gering. Da hätte man“, so Schertler, „fragen müssen, woher das kommt, wo der Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern liege. Das Geschäftsmodell der Bank war ja sehr einfach.“ Dass hier weggeschaut worden sei, verwundere sie; Schertler betont aber: „So etwas kann nie ausgeschlossen werden.“

Doch könne man das Risiko minimieren, dass kriminelle Machenschaften so lange unentdeckt bleiben, bringt Schertler Anwendungen künstlicher Intelligenz (KI) ins Spiel. Die Aktivitäten von Fintechs seien in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. „Ich hoffe, dass KI-Module bald eingesetzt werden, die große Datenmengen aggregieren, vergleichen und die Software dann rückmeldet, welche Überraschungen es in einer Bilanz gibt. Denn ein Punkt allein ist nie auffällig.“ Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer und die Bankenaufsicht bekämen so ein Werkzeug in die Hand, das sie bei ihren Aufgaben unterstützt.

Allerdings werfe das weitere Fragen auf, etwa, welche Informationen, welche Datenhistorie über welche Zeit Banken den Prüfern zur Verfügung stellen müssen. „Das ist ein Bereich, wo noch viel geregelt werden muss. Das Thema hat großes Potenzial, für die Finanzhäuser bedeutet das aber auch immense Kosten, da es mit einer Aufrüstung auf der IT-Seite verbunden ist“, so die Bankenspezialistin.

Vollkommenen Schutz werde es dennoch nie geben, weshalb, so Schertler, die Lehre für Anleger und Sparer aus der Causa lauten müsse, „viel mehr auf ihr Geld aufzupassen. Und vielleicht sind wir bald so weit, dass wir in der Schule ein Fach unterrichten können, sodass sich jeder im Finanzbereich bewegen kann.“