"Wer den Propheten beleidigt, hat den Tod verdient“, ist einer der Sätze von muslimischen Schülern in Wien-Favoriten, die bei Susanne Wiesinger die Alarmglocken haben schrillen lassen. Die Lehrerin spürt, dass sie ihre Schüler nicht mehr erreicht, die gefangen sind in der Parallelwelt der fundamentalistischen Elternhäuser. Das System schaut weg, ihre eigene Partei, die SPÖ, unterdrückt das Problem, Lehrer trauen sich nicht, über den Sprengstoff für die Gesellschaft zu reden. Auch, weil es ihr um die Kinder und deren Zukunft in unserem Land geht, wollte die Pädagogin nicht länger schweigen und schrieb das Buch über den „Kulturkampf im Klassenzimmer“.

Beim völlig ausgebuchten Salon der Kleinen Zeitung im Styria Media Center empfing Moderator Ernst Sittinger gestern die Wiener Autorin, um den Fragen, die sie aufwirft, auf den Grund zu gehen: Wie ist es um die Integrationsfähigkeit der Muslime bestellt, wie ist die Politik gefordert?

Hier finden Sie den Abend im Live-Stream zum Nachschauen:Gleich eingangs unterstreicht Wiesinger: „Es herrscht ein Kulturkampf im Klassenzimmer. Das ist mein Befund.“ Vor zehn bis 15 Jahren habe sich etwas massiv verändert: „Die Kinder sind nicht mehr auf Klassenfahrten oder Tagesausflüge mitgeschickt worden. Schwimmunterricht mit Mädchen findet an meiner Schule heute nicht mehr statt.“ Schulen in Wien, aber auch in anderen Städten seien zunehmend mit bildungsfernen Eltern konfrontiert. Familien hätten einen starken Einfluss auf die Kinder, die Eltern stünden wiederum unter dem Druck der Community im Geist des konservativen Islams.Über Jahre war Wiesinger mit Schulinspektoren und Direktoren konfrontiert, die Lehrer, die um Hilfe riefen, abstoppten: „Reg dich nicht auf, bei uns ist alles in Ordnung!“ Diese Mentalität herrsche im ganzen Land: „Je mehr Probleme wir haben, desto mehr ziehen sich Staat und Gesellschaft zurück, statt es mutig, offensiv anzugehen.“
In den Neuen Mittelschulen, wie an ihrer in Wien-Favoriten, schummle man sich um Leistungsbeurteilungen herum: „Wir sind Sozialarbeiter und Konfliktschlichter, aber keine Lehrer mehr“, bestätigt sie, dass Schüler durchgelassen werden, um Durchfallraten zu schönen: „Wer sagt, dass ein Kind in einer NMS in Favoriten das gleiche Niveau erbringt wie eines in einer AHS-Unterstufe in Hietzing, der lügt!“

Als (immer noch) Linke sagt die Lehrerin: „Auch, wenn es schön wäre, wenn alle Kinder die gleichen Voraussetzungen hätten: Es ist nicht so.“ Deshalb brauche es andere Lehrpläne für Schulen mit vielen Kindern mit Migrationshintergrund. Vor allem aber brauche es mehr Geld, mehr Personal und eine verstärkte Förderung an den Brennpunktschulen: „Und dann müssen wir auch fordern, von Eltern auch die Einhaltung der Regeln und Werte unseres demokratischen Rechtsstaates und des Humanismus.“ Auch Sanktionen, wie eine temporäre Kürzung der Familienbeihilfe, hält die Lehrerin für sinnvoll.Der wichtigste Punkt, vor dem sich die Politik drücke, sei aber die Verteilung dieser Kinder auf alle Schulen. Wiesinger: „Auch, wenn das den Eltern der Mehrheitsgesellschaft nicht schmeckt.“ Aber das Umfeld und die Durchmischung seien die Voraussetzung dafür, dass Integration gelingen könne.Religion habe im säkularen Staat zweitrangig und Privatsache zu sein, sagt die langjährige rote Lehrer-Gewerkschafterin: „Deshalb bin ich auch gegen das Kreuz im Klassenzimmer. Das ist genauso eine Instrumentalisierung von Religion wie das Kopftuch.“ Die Frage des Kopftuchverbots beantwortet sie klar: „Bis aus den Mädchen eine mündige, religiöse Frau geworden ist, also mit 18 Jahren, sollten sie kein Kopftuch tragen.“ Jedenfalls tritt sie für ein Verbot in den Pflichtschulen ein.Die große, abschließende Hoffnung der Pädagogin, die einfach nicht mehr schweigen wollte, ist, „dass das jetzt nicht nur ein Hype um mein Buch ist, sondern dass wir die Debatte jetzt endlich beginnen. Dass wir die Probleme ohne Parteipolitik in Angriff nehmen und für die Zukunft lösen. Dann kann man ja gerne wieder wahlkämpfen!“