Frau Keller-Messahli, in Österreich läuft eine Debatte über den Einzug des politischen Islams an Schulen. Die Politik diskutiert ein Kopftuchverbot an Pflichtschulen, also für Mädchen bis 14 Jahre. Muslime beklagen, das Kopftuch müsse für alles herhalten. Wäre ein Verbot für Sie der richtige Schritt?

Saïda Keller-Messahli: Ja, aber ein Kopftuchverbot an Schulen bis zur Volljährigkeit.

Warum bis 18 Jahre?

Dann kann ein Mädchen selber und frei entscheiden. Wenn Minderjährige unter dem Druck der Eltern oder der sozialen Gruppe dazu gezwungen werden, fällt es ihnen später schwer, das Kopftuch abzulegen. Im Koran steht nirgends das Wort „Haar“. Islamisch ist das Kopftuch nicht begründbar. Es ist ein Phänomen, das aus der Antike kommt, und somit vorislamisch. Überall, wo Islamisten an die Macht kommen, wenden sie sich zuerst gegen die Frauen. Diese müssen sich verhüllen, ihre Rechte werden beschnitten. Wenn ich sehe, dass Kindergarten- oder Volksschulmädchen Kopftuch tragen müssen, ist das reine Konditionierung. Es ist eine Sexualisierung des Kindes, denn das Kopftuch bedeutet Geschlechtsreife. Es ist eine Markierung von Mädchen und Frauen, eine Art Uniform des politischen Islams, wird es doch primär im öffentlichen Raum getragen. Ganz besonders in Europa hat das Kopftuch nichts mit Religionsfreiheit zu tun. Es dient der sozialen Abgrenzung: Schaut her, ich bin Muslimin!

Sollte man darüber hinaus Verbote andenken?

Nein! Eine erwachsene Frau soll diese Entscheidung für sich treffen. Aber in der Schule brauchen wir diesen freien Bildungsraum für Mädchen, wo sie nicht ausgegrenzt und diskriminiert werden dürfen - was das Kopftuch tut -, in der Schule lernt man soziale Partizipation und Integration unabhängig von religiöser Zugehörigkeit.

Sie bezeichnen in Vorträgen, die Sie auch im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds halten, Moscheenverbände als problematisch. Sind sie eine Gefahr für unsere Gesellschaft?

Es sind Moscheenverbände und Repräsentanten der islamischen Glaubensgemeinschaften, die den politischen Islam, den Islamismus, in Europa vorantreiben. Die Moscheen werden vom Ausland finanziert, aber die Verbände legen die Spender nie offen. Vielfach gibt es Radikalisierungstendenzen in Moscheen, die in der Schweiz, Deutschland und Österreich intensiv vernetzt sind. Radikale Prediger vom Balkan oder aus den Golfstaaten touren durch Europas Moscheen.

Sollte man alle Moscheen überwachen?

Nein, man muss nicht alle überwachen. Aber der Staat sollte sich viel intensiver dafür interessieren, was dort vor sich geht. Hier sind Netzwerke aktiv, die weder von Demokratie noch von Freiheit etwas halten. Ich habe großes Unbehagen, weil ich noch selten eine Moschee gefunden habe, die demokratische Werte vermittelt und lebt. Viele weisen salafistische, islamistische Tendenzen auf. Die Muslimbruderschaft hat in Europa und in Amerika einen enormen Einfluss. Das Ziel ist eine Gesellschaft nach Gottes Gesetz, nach der Scharia.

Aber ist es nicht ein Problem, dass längst alle Muslime in diese Ecke gestellt werden?

Ja, das ist ein Problem und Folge eines Missverhältnisses in der Repräsentanz. Die Islamverbände geben vor, für alle Muslime zu sprechen. Die Staaten, auch Österreich, sollten den Mut zu einem Kurswechsel aufbringen und nicht länger mit diesen Verbänden kooperieren. Diese erzählen immer, sie würden sich für Integration einsetzen, für den interreligiösen Dialog. Stattdessen hat Österreich rund 300 Jihadisten, radikale Imame in Moscheen. Die Islamverbände streuen uns seit über 30 Jahren nur Sand in die Augen und versuchen, sich staatliche Institutionen gefügig zu machen. Sie sind über die Seelsorge in Spitäler und in Gefängnisse gekommen und organisieren den Islamunterricht an Schulen. Da muss man sehr aufpassen. Das gehört in die Hände unabhängiger, kritischer Leute.

Die Sprecher der Organisationen sind meist die einzigen Muslime, die an öffentlichen Diskussionen teilnehmen ...

Ja, dabei vertreten sie höchstens 15 Prozent der hier lebenden Muslime, 85 Prozent sind laizistisch, trennen Religion und Politik, sind voll integriert.

Sie sehen den Religionsunterricht als problematisch an. Muss man ihn von Schulen verbannen?

Das wäre wohl das Beste. Und wenn nun da oder dort schon die Forderung nach Gebetsräumen an Schulen aufkommt, dann muss man klarstellen, dass an den Schulen eben nicht gebetet, sondern gelernt wird.

Verbannt man den Religionsunterricht, müsste das ja nach Gleichheitsgrundsatz wohl alle Konfessionen treffen. Was dann?

Ethikunterricht für alle wäre die beste Lösung. Da wären Kinder aller Religionen von Anfang an gemeinsam im Unterricht und in freundschaftlichem Kontakt, was dem sozialen Zusammenhalt zugutekäme.

Wie kann man die diskutierten Probleme an Schulen lösen: Mädchen, die nicht am Schwimmunterricht teilnehmen, Kinder, die nicht an Ausflügen oder nicht am Aufklärungsunterricht teilnehmen dürfen?

Man muss die Eltern viel stärker in die Pflicht nehmen. Diese Menschen sind ja nach Österreich gekommen, damit es ihnen besser geht, ihre Kinder eine bessere Ausbildung bekommen, sie in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben können. Es ist ein Geben und Nehmen. Sie müssen eben auch geben. Man muss ihnen klarmachen, dass gewisse Regeln nicht verhandelbar, sondern einfach einzuhalten sind. In der Schweiz gibt es auch Bußgelder, wenn Familien sich nicht an Regeln und Unterrichtspflichten der öffentlichen Schule halten.

Sie haben mit anderen die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin gegründet. Entspricht diese Ihren Vorstellungen eines europäischen Islams?

Ja, da beten wir Frauen und Männer gemeinsam in einem Raum, Seite an Seite und hören den Predigten sowohl einer Imamin als auch eines Imams zu. Frauen ohne Kopftuch sind die Regel. Der Islam muss sich auch im rituellen Sinn ändern. Deshalb habe ich vor 14 Jahren das Forum für einen fortschrittlichen Islam gegründet. Eine heilsame Veränderung wird nur von kritischen Muslimen, die sich wirklich mit der europäischen Kultur identifizieren, kommen.