Nicht jeder Tag beginnt mit Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, dem Finanzministerium (BMF) und der Parteizentrale der ÖVP. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sah sich dazu am Mittwoch aber wohl gezwungen - und stürzte Österreich damit in eine Regierungskrise. Der Verdacht der Staatsanwälte geht fünf Jahre in die Vergangenheit zurück:

2016 ist Sebastian Kurz Außenminister. Die ÖVP wird geführt von Reinhold Mitterlehner, Kurz will selbst Parteiobmann und in einem weiteren Schritt Bundeskanzler werden. Doch dafür findet sich in der Partei keine Mehrheit. Laut der Erzählung der WKStA könnten Kurz und sein engster Kreis kriminelle Maßnahmen ergriffen haben, um das zu ändern. Ein Überblick über das von den Staatsanwälten beschriebene Netzwerk Kurz:

Die Vorwürfe

Ab 2016 sollen demnach der damalige Generalsekretär im BMF, Thomas Schmid, sowie der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im BMF, Johannes Pasquali über die Meinungsforscherin Sabine Beinschab Umfragen im Interesse des damaligen Außenministers Kurz in der Mediengruppe "Österreich" platziert und teils auch aufgebessert haben. Das "Beinschab ÖSTERREICH Tool" soll zumindest bis 2018 in Betrieb gewesen sein.

Die Finanzierung der Umfragen soll dabei über Scheinrechnungen aus dem Finanzministerium erfolgt sein - auf Kosten der Steuerzahler. Pasquali wird daher der Untreue beschuldigt. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Zusätzlich soll die Mediengruppe "Österreich" Zusagen über Inserate aus dem Finanzministerium erhalten haben - im Gegenzug für positive Berichterstattung über Sebastian Kurz. Die Chefs von "Österreich" und oe24, Wolfgang und Helmuth Fellner, werden der Bestechung beschuldigt, Schmid und Pasquali der Bestechlichkeit. Auch ihnen drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Alle Beschuldigten bestreiten diese Beschreibung, es gilt die Unschuldsvermutung.

"Zentrale Person" Kurz

Profitiert hat Sebastian Kurz, argumentiert die WKStA. Kurz sei "die zentrale Person: sämtliche Tathandlungen wurden primär in seinem Interesse begangen", schreiben die Ermittler. Aus den ausgewerteten Chatnachrichten sei ersichtlich, dass der nunmehrige Bundeskanzler "in allen wichtigen Belangen die Grundsatzentscheidungen trifft." Die WKStA verdächtigt Kurz daher, "Bestimmungstäter" im Verbrechen der Untreue und der Bestechlichkeit zu sein. Der ÖVP-Obmann soll also in Pasquali und Schmid vorsätzlich den Tatentschluss geweckt haben. Sebastian Kurz bestreitet, von dem durch die WKStA beschriebenen ihm förderlichen Konstrukt gewusst zu haben.

Den weiteren Beschuldigten wird vorgeworfen, zur Tat beigetragen zu haben. Sogenannte Beitragstäter ermöglichen oder erleichtern die Tat selbst. Im Fall des Netzwerk Kurz soll etwa die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin die Verbindung zu Beinschab hergestellt haben. Weitere Beschuldigte sollen die Untreue und Bestechlichkeit von Pasquali beziehungsweise Schmid vorsätzlich ermöglicht oder erleichtert haben. Für alle genannten Personen gilt die Unschuldsvermutung.