In den 76 Jahren seit der Gründung der Zweiten Republik hat es in Österreich insgesamt 19 Justizminister und Justizministerinnen gegeben (kurzfristige Vertretungen wie z. B. kürzlich die Vertretung von Justizministerin Alma Zadic durch Vizekanzler Werner Kogler nicht mitgerechnet).

Sechs dieser 19 Minister wurden von der ÖVP vorgeschlagen, fünf waren parteilos, vier von den Freiheitlichen, drei von den Sozialdemokraten und eine Ministerin von den Grünen. Man muss allerdings hinzufügen, dass der sozialdemokratische Justizminister Christian Broda (1960–1966 und 1970–1983) länger im Amt war als alle vier Minister der Freiheitlichen zusammen.

Mit Ausnahme von Minister Josef Gerö, dem ersten Justizminister der Zweiten Republik, habe ich sämtliche Minister/-innen in diesem Ressort – beginnend mit Otto Tschadek – persönlich gekannt.

Soweit ich mich erinnere, war das derzeit so aktuelle Thema des Weisungsrechts eines Justizministers gegenüber den Staatsanwälten bei den Justizministern der Zweiten Republik zunächst kein Thema. Erst in den 60er-Jahren, in der Zeit von Justizminister Christian Broda, tauchte dieses Thema auf, wobei Broda das Weisungsrecht mit Nachdruck verteidigt hat: „Man kann nicht die politische und rechtliche Verantwortung als Minister tragen, wenn man nicht korrigierend eingreifen kann“, sagte Broda bei diesbezüglichen Diskussionen und die ÖVP hatte damals gegen diesen Standpunkt keinen ernsthaften Einwand. Auch unter den nachfolgenden Ressortchefs im Palais Trautson wurde die Frage einer Neugestaltung des Weisungsrechtes zunächst nicht als dringlich betrachtet.

Anders war das in Deutschland, wo ein Generalbundesanwalt im Grundgesetz eingerichtet wurde, der aber als politischer Beamter der Dienstaufsicht des Bundesjustizministers untersteht. Er ist oberster Ankläger bei Verfahren vor dem Bundesgerichtshof und hat spezielle Aufgaben bei Delikten gegen die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sowie bei Straftaten nach dem Völkerstrafrecht. Das ist also eine andere Konstruktion, als sie derzeit in Österreich zur Diskussion steht.

Etwa seit der Jahrhundertwende wurden Ermittlungen und Strafverfahren im politiknahen Bereich und dort, wo Politik und Wirtschaft eng verknüpft sind, häufiger (siehe z. B. die Themen Bank Hypo Alpe Adria, Bawag, Buwog, Novomatic etc.) und daher wurde das Thema der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte in solchen Verfahren sensibler und aktueller. Immer mehr Justizexperten plädierten mit dem Hinweis auf andere europäische Rechtssysteme für eine von der Politik unabhängige Weisungsspitze gegenüber den Staatsanwälten.

Zuletzt hatte sich Justizminister Wolfgang Brandstetter erfolgreich dafür eingesetzt, dem Justizminister einen honorigen „Weisungsrat“ als Beratungsgremium zur Seite zu stellen, was auch geschehen ist und meines Erachtens ein Schritt in die richtige Richtung war. Kann man sich damit bereits zufriedengeben oder wäre nicht ein weiterer großer Schritt in Richtung einer unabhängigen und nicht an Ministerweisungen gebundenen obersten „Bundesstaatsanwaltschaft“ ratsam?

Es ist interessant, dass die ÖVP, die einer solchen Institution bisher sehr skeptisch gegenüberstand, in jüngster Zeit wachsende Sympathien für diesen Gedanken entwickelt hat, während einige prominente Juristen und Juristinnen, die dieses Konzept in der Vergangenheit unterstützt haben, sich jetzt eher zurückhaltend äußern. Und auch die Grünen, die derzeit die Justizministerin stellen, sind vorsichtiger geworden. Tatsächlich ist das ein Projekt, das in der Theorie sehr attraktiv ist, dessen praktische Auswirkungen sich aber nicht leicht prognostizieren lassen bzw. sehr stark von den Details der Durchführung abhängen.

Ein Bundesstaatsanwalt oder eine Bundesstaatsanwältin, der/die in einem transparenten Verfahren ausschließlich nach fachlichen Kriterien ausgewählt wird und sich durch ein Höchstmaß an Objektivität, Fachwissen, Erfahrung und Unbeeinflussbarkeit auszeichnet, würde das Vertrauen in unsere Justiz sicher stärken.

Besteht aber die Gefahr, dass eine solche Bundesstaatsanwaltschaft den hohen Anforderungen und Erwartungen nicht gerecht wird, dann würde sich der Vertrauensvorschuss in eine solche neue Institution unweigerlich ins Gegenteil verwandeln. Daher denke ich, dass verschiedene Sonderregelungen notwendig sind und in der Verfassung verankert werden müssen, damit eine solche Institution die in sie gesetzten hohen Erwartungen erfüllen kann.

Einige Hinweise dazu: Die Funktion des Bundesstaatsanwaltes muss öffentlich ausgeschrieben werden und der Ausschreibungstext bedarf der Zustimmung der Präsidenten der drei Höchstgerichte oder eines anderen unabhängigen Gremiums mit sehr hohem Prestige.

Die einlangenden Bewerbungen sind zunächst einem Expertengremium vorzulegen, das unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes steht und dem Standesvertreter der Richter, der Staatsanwälte, der Rechtsanwälte und Vertreter der Rechtswissenschaften angehören müssen.

Dieses Gremium erarbeitet ein Gutachten über die eingelangten Bewerbungen, aus denen drei Personen als besonders geeignet für die Funktion des Bundesstaatsanwaltes unter Anfügung einer Begründung auszuwählen sind.

Aus diesem Dreiervorschlag wählt der Hauptausschuss des Nationalrates mit Zweidrittelmehrheit einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus und unterbreitet diesen Vorschlag dem Nationalrat, dessen Zustimmung ebenfalls einer Zweidrittelmehrheit bedarf (das Nähere wäre in der Geschäftsordnung des Nationalrates zu regeln). Die Ernennung erfolgt sodann durch den Bundespräsidenten.

Die Funktionsperiode des Bundesstaatsanwaltes sollte (ebenso wie die Funktionsperiode des Präsidenten des Rechnungshofes) zwölf Jahre betragen. Eine vorzeitige Abberufung des Bundesstaatsanwaltes wäre nur bei offensichtlich schweren Verfehlungen und Versäumnissen möglich, und zwar nur aufgrund eines gemeinsamen, begründeten Vorschlags der Präsidenten der drei Höchstgerichte, wobei ein solcher Antrag vom Nationalrat mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden müsste, um den Bundespräsidenten zu einer Abberufung zu ermächtigen.

Der Bundesstaatsanwalt sollte verpflichtet sein, einmal jährlich dem Nationalrat über seine Tätigkeiten zu berichten. Bei der Verhandlung dieses Berichts sollte dem Bundesstaatsanwalt geschäftsordnungsmäßig die Stellung eines Regierungsmitgliedes zukommen.

Es sind natürlich noch zahlreiche weitere Fragen im Detail zu klären (insbesondere der genaue Aufgabenbereich der Bundesstaatsanwaltschaft) und für einzelne Fragen sind auch verschiedene Lösungsvarianten denkbar.

Es gibt zum Beispiel auch die Idee, die vorstehend genannten Aufgaben (Weisungsbefugnisse) nicht einer einzelnen Person, sondern einem Gremium aus drei Personen zu übertragen. Auch dafür gibt es Argumente, aber ich persönlich denke, dass eine einzelne, mit der oben geschilderten Sorgfalt ausgewählte Persönlichkeit die bessere Lösung darstellt. Der bereits im Justizministerium geschaffene Weisungsrat könnte als beratendes Gremium weiter in Funktion bleiben.

Die zentrale Aufgabe ist also, eine Lösung dafür zu suchen und zu finden, wie eine oberste weisungsberechtigte Instanz in der Strafrechtspflege konstruiert sein muss, um ein Höchstmaß an Qualität, Objektivität und Unabhängigkeit zu sichern, ohne auf eine Legitimierung dieser Institution im System der parlamentarischen Demokratie zu verzichten.

Wenn dieses Projekt nicht in überzeugender Weise und auf sehr breiter Basis verwirklicht werden kann, dann sollte man es lieber bleiben lassen, denn eine schlechte Lösung könnte dem Rechtsstaat mehr Schaden zufügen als die Beibehaltung der derzeitigen Strukturen.