Der Transfermarkt ist eröffnet: Viktor Orban ist einem Ausschluss seiner Fidesz-Abgeordneten aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei zuvorgekommen (EVP). In der Partei waren die Fidesz-Leute schon seit zwei Jahren suspendiert – in der Hoffnung, dass es wieder zu einer gütlichen Annäherung der schon weit entfernten Positionen kommen möge.

Stattdessen kam der Bruch. Das Votum für die entscheidende Änderung der Geschäftsordnung kam mit überragender Mehrheit (84 Prozent), die kleine Gruppe derer, die sich für einen Verbleib der Fidesz aussprachen – darunter alle österreichischen ÖVP-Abgeordneten mit Ausnahme von Othmar Karas, der schon seit längerem keine gemeinsame Zukunft mehr mit den Ungarn sah – argumentiert damit, dass man die Vertreter des rechten Randes innerhalb der Parteienfamilie besser unter Kontrolle habe; und sie zeigten sich besorgt darüber, dass Orban und seine Leute das rechte Lager innerhalb der EU neu formieren und vor allem zu besorgniserregender Stärke bringen könnte.

In der Tat hat das Werben bereits eingesetzt. Derzeit gibt es im EU-Parlament zwei Fraktionen, die man dem rechten Rand zuordnen kann. In der ECR (EKR), den „Europäischen Konservativen und Reformern“ sind die gemäßigten Strömungen vertreten. Der Europäischen Union gegenüber ist man zwar kritisch, aber nicht völlig ablehnend eingestellt. Größte Gruppe ist die polnische PiS (Recht und Gerechtigkeit). Polen und Ungarn haben sich schon bisher im Rat die Bälle zugespielt, beide hatten sich auch bis zur letzten Sekunde beim langjährigen Finanzrahmen und damit auch dem Wiederaufbauprogramm quergelegt, wegen der Verknüpfung mit der Rechtstaatlichkeitskonditionalität – gegen beide Länder laufen bereits Rechtsstaatsverfahren der EU.

Die zweite Gruppierung, die Fraktion Identität und Demokratie (ID), ist da schon wesentlich weiter draußen angesiedelt. Sie ist das Sammelbecken von Matteo Salvinis Lega, der deutschen AfD – und der FPÖ. Unmittelbar nach dem Ausstieg der Fidesz aus der EVP kam bereits ein deutliches Angebot von der AfD zur Zusammenarbeit.

Kommt die neue rechte Superfraktion?

Die große Frage lautet nun aber: Wird sich Orban für eine der beiden Fraktionen entscheiden – oder setzt er seinen Plan um, aus allen Kräften eine neue, rechte Fraktion aus der Taufe zu heben? Medien berichten, er habe bereits mit beiden Lagern Verhandlungen aufgenommen. Die Fidesz selbst hat nur zwölf Abgeordnete, ein Zusammenschluss mit ID (75) und EKR (63) würde die Gruppe auf einen Schlag zur zweitstärksten Fraktion im EU-Parlament machen. Hinter der EVP, aber noch vor den Sozialdemokraten und allen anderen. Die AfD wäre auf alle Fälle gerne dabei, bekräftigte Vorsitzender Jörg Meuthen gestern.

Der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Harald Vilimsky, zeigte sich bezüglich der Entstehung einer großen Rechtsfraktion im Europaparlament ebenfalls "sehr zuversichtlich". Im Parlament sei die Größe „ausschlaggebend, wie viel Gravität man seiner Position verleihen kann“, sagte Vilimsky gegenüber der APA. Seiner Einschätzung nach werden die Gespräche noch die nächsten Monate dauern – „damit auch jeder zufrieden sein kann“. Die Freiheitlichen würden Gespräche „in alle Richtungen im Haus“ führen, so Vilimsky. Man tausche sich hier „ständig“ aus, die aktuelle Situation habe dies nur „intensiviert“.

Auch an anderer Stelle entsteht nun Bewegung: In Slowenien. Dort mehren sich seit Tagen die Spekulationen darüber, ob nicht auch die Regierungspartei SDS den Ungarn folgen und aus der EVP austreten könnte. Der slowenische Premier und SDS-Chef Janez Jansa gilt als enger politischer Verbündeter Orbans. Allerdings sind noch zwei weitere slowenische Parteien in der EVP, ein Ausstieg aus der Parteienfamilie könnte Jansa im eigenen Land unter Druck bringen. Umgekehrt hat er bei einem Verbleib in der EVP eine Last als Orban-Vertrauter zu tragen; bis auf Weiteres ist die Fidesz trotz des Ausstiegs aus der Fraktion immerhin noch in der Partei, es ist aber wahrscheinlich, dass sie sich auch dort zurückzieht.

Erster Versuch schon 2019

In der Tat hatte es bereits im EU-Wahlkampf 2019 Pläne gegeben, eine große Rechtsfraktion zu bilden. Vilimsky sieht darin eine Möglichkeit, „alle EU-Kritiker unter einem Dach vereinigen“, um den Reformdruck auf die EU entsprechend stark zu erhöhen. Schon damals war die FPÖ mit Lega-Chef Salvini auf gleichem Kurs, dieser sieht jetzt eine gute neue Chance für so ein Bündnis. Es hätte wohl unter anderem zur Folge, dass rechte Abgeordnete in Zukunft doch in wichtige Positionen im Getriebe des EU-Parlaments kämen, etwa als Ausschussvorsitzende. Bisher wussten das die anderen Fraktionen zu verhindern, in dem sie bei den Rechtsablegern schlicht die üblichen Proporzregeln (die nicht zwingend vorgeschrieben sind) nicht zur Anwendung brachten und bei den Abstimmungen ihre eigenen Leute bevorzugten – oft mit dem Argument, dass jemand, in dessen Wahlprogramm steht, das EU-Parlament abschaffen zu wollen, nicht eine zentrale Rolle in der täglichen Arbeit derselben Einrichtung einnehmen könne.

Doch schon vor den Europawahlen zeigte sich ein grundsätzliches Dilemma, dass die Rechten bzw. die Rechtspopulisten haben: ihre Aktivitäten orientieren sich so stark an nationalen Themen, dass es ihnen schwerfällt, gemeinsame übergeordnete Positionen zu beziehen. So war es damals etwa Italien, das lautstark forderte, andere Länder sollten mehr Asylwerber aufnehmen – und Ungarn, das genau das verweigerte. Ein anderes Beispiel sind die Beziehungen zu Russland: Ungarn (und etwa auch die FPÖ) agiert pro-russisch, für Polen ist das ein rotes Tuch.

Andererseits herrscht im EU-Parlament keinerlei Fraktionszwang. Eine neue, starke Fraktion könnte sich alle Vorteile (Büros, Mitarbeiter, Budget, Redezeiten) herausschlagen – und sich dann erst bei den Abstimmungen so verhalten, wie jeder einzelne Abgeordnete will.