Hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Dynamik der Inflation infolge der Pandemie massiv unterschätzt? Eine Frage, die Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann am Freitag in einer Diskussion mit Journalisten unbeantwortet lassen muss. Dass die hohen Inflationsraten den Ökonomen Holzmann aber keineswegs kaltlassen, gibt er unumwunden zu: „Ich habe auch schlaflose Nächte“, räumt er in Anlehnung an eine ähnliche Äußerung von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) ein. Holzmann treibt die Frage um, „wie können wir schneller herausfinden, wie die Inflation sich entwickelt“. Die EZB erwartet den Inflationshöhepunkt zum Ende des Jahres. „Wenn es nicht runtergeht oder sehr flach runtergeht, dann haben wir wahrscheinlich ein Problem“, sagt Holzmann wörtlich. „Das wäre dann ein Grund, andere Überlegungen anzustellen.“

EZB-Chefin Christine Lagarde schloss indes am Mittwoch die Zinswende für 2022 aus. In Frankfurt glaubt man im nächsten Jahr an sichtbar niedrigere Inflationsraten als die derzeit hohen 4,1 Prozent in der Eurozone. Ende 2023 werden wieder unter zwei Prozent erwartet.
Die US-Notenbank Fed bereitet möglichen Zinserhöhungen aber schon den Boden, indem sie ihr Anleihekaufprogramm reduziert. Bei guter Wirtschaftsentwicklung läuft es Mitte 2022 aus. Auch die Anleihekaufprogramme der EZB befeuern seit Jahren einen Immobilien- und Aktienboom – inklusive vieler Inflationseffekte.

„Ich hätte es anders formuliert“

Von Lagardes jüngster Aussage zeigt sich der im EZB-Rat vertretene Holzmann natürlich keineswegs überrascht. Das sei nur „konsistent“. „Ich hätte es anders formuliert“, lässt sich Holzmann entlocken. Er hätte etwa den Hinweis eingefügt, dass man „auf Sicht fahre“, um zu sehen, wie sich das erste und zweite Quartal 2022 entwickeln. Holzmann schätzt die Wahrscheinlichkeit hoch ein, dass sich die Berechnungen dann verändern werden.

Hinter den Kulissen im EZB-Rat dürfte es heftige Debatten über den EZB-Kurs geben, auch wenn Holzmann das nicht explizit bestätigen kann. Dass jetzt mit dem Chef der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann (53), ausgerechnet der mächtigste Notenbanker von Bord geht, der sich zehn Jahre vehement gegen die ultralockere Geldpolitik ohne klare Ausstiegsszenarien gestemmt hatte, bedauert Holzmann. Womit jene EZB-Mitglieder endgültig Oberwasser bekommen könnten, deren Ländern das billige Schuldenmachen bestens passt.