Vom gefeierten Milliardenkonzern zum Sanierungsfall in nicht einmal zwei Wochen: Die Wirecard AG stellt angesichts des Milliarden-Bilanzskandals einen Insolvenzantrag, erstmals ist damit ein im Aktienleitindex DAX gelisteter Konzern insolvent. Es drohe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, teilt das Unternehmen mit. Inzwischen glaubt nämlich selbst das Management nicht mehr, dass jene 1,9 Milliarden Euro überhaupt existieren, die jahrelang Basis des Asien-Geschäfts waren. Ein Viertel der Bilanzsumme des Unternehmens ist damit wohl eine reine Luftnummer.

In dem Fall gebe es gleich mehrere Probleme, erklärt Peter Bartos vom Wirtschaftsprüfungsnetzwerk BDO. Er hat den Prüfbericht der KPMG zu Wirecard genau analysiert. Es geht darin um das Geschäft in Asien. Dort wurden drei Partnerunternehmen gewonnen, die im Namen der Wirecard agierten. Hier sei der erste Haken, erklärt Bartos: „Wirecard hat die Umsätze der Partnerfirmen als eigene Umsätze in die Bilanz genommen.“ Es sei fraglich, ob das wirklich zulässig gewesen sei.

Der zweite Haken: Die Gewinne aus den Geschäften wurden nicht an Wirecard überwiesen, sondern an einen Treuhänder – eben 1,9 Milliarden Euro. Und bis vor neun Tagen zweifelte offiziell keiner an der Existenz des Geldes. Was aber Fragen aufwirft: Das Unternehmen hat trotz des angeblichen Guthabens zwei Milliarden Euro an Krediten aufgenommen. Gläubigerbanken sind neben Barclays, Bank of China oder Deutsche Bank auch die Raiffeisenlandesbanken für Oberösterreich sowie Niederösterreich-Wien. Jetzt müssen auch die Bilanzen der Vorjahre geprüft werden, für die es eigentlich ein Okay der Wirtschaftsprüfer von EY gibt. Hier dürfte man sich auf die Versicherung des Treuhänders verlassen haben, dass das Geld auf den beiden philippinischen Banken ja existiere. Heute ist klar, dass es diese 1,9 Milliarden Euro dort nie gegeben hat.

" ... dann ist allerdings auch der Prüfer machtlos"

Strenge Prüfungsauflagen sollten so etwas eigentlich verhindern, erklärt Bartos. Selbst bei einem Hersteller von Konsumgütern werde beim Verkauf über Kommission geprüft, wie viel Ware noch bei den Händlern liege. „Das sollte bei Geldguthaben nicht anders sein.“ Üblicherweise gibt es Banken-Briefe, welche die Existenz von Konten bestätigen. Diese werden im Auftrag des Unternehmens oder Treuhänders an die betroffene Bank gesendet. „Wenn dort jemand bei dem Komplott mitmacht, ist allerdings auch der Prüfer machtlos.“ Tatsächlich hatten Mitarbeiter der betroffenen philippinischen Geldinstitute Zertifikate gefälscht.

„Die Kernfrage ist: Wurde das Geld der Wirecard gestohlen oder hat es die Asien-Geschäfte in Wirklichkeit nie gegeben?“, so Bartos. Diese betrugen immerhin rund die Hälfte der Umsätze der Wirecard. Und der Umsatz ist bei Internetfirmen die wichtigste Kennzahl für die Entwicklung der Aktie. Steigen die Umsätze, steigt der Kurs der Wertpapiere. Daher wird derzeit auch wegen Falschinformation von Anlegern gegen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun ermittelt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Aktienkurs zerbröselte gestern endgültig, innerhalb weniger Tage verlor die Aktie fast 97 Prozent ihres Werts.

Die Insolvenz zieht auch geografisch weite Kreise: So könnte auch die in Graz ansässige Tochter, „Wirecard Central Eastern Europe“, mitgerissen werden. Dort waren laut Firmen-Compass 2019 noch 130 Mitarbeiter beschäftigt.