Die Coronakrise fräst sich derzeit in alle Gesellschaftsbereiche, die damit einhergehenden Veränderungen sind immens. In Kooperation mit dem Verein „DENKwerk Steiermark“ werfen zahlreiche Experten aus unterschiedlichsten Bereichen einen persönlichen Blick auf die Zukunft nach Corona. Der Grazer Unternehmer und langjährige frühere steirische Industrie-Präsident Jochen Pildner-Steinburg über Angstvokabel und ihre unerwünschten Nebenwirkungen sowie Lösungsansätze in Zeiten großer Ungewissheit.

Natürlich ist es nicht leicht, eine Bevölkerung aus dem Alltag heraus auf Pandemiebekämpfung zu trimmen. Die Regierung versuchte, die Menschen auch über Angst zur Vernunft zu bringen. Von Hunderttausend Toten war die Rede oder der bekannte Satz: „… bald wird jeder einen kennen, der an Corona verstorben ist!“. Das hat offensichtlich gewirkt, die Zahlen sind gut! Andererseits zeigen sich, nachdem gesundheitspolitisch das Schlimmste vorüber scheint, klare unerwünschte Nebenwirkungen.

Erstens, viele Bürger fühlen sich entmündigt und verweigern zunehmend die weitere Kooperation. Das passiert, wenn man den Menschen zu wenig zutraut und sich Verordnungen im Nachhinein als juristisch fragwürdig herausstellen. Zweitens sind die Menschen durch die vielen geradezu martialischen Auftritte der Regierung, durch die Einschränkungen und die soziale Isolation stark verunsichert. Drittens wurde es verabsäumt, auch seitens der Medien, auf ernstzunehmende kritische Stimmen in der Diskussion rechtzeitig einzugehen. Die Folge ist, dass viel Vertrauen in die Argumente der offiziellen Seite verloren ging und Verschwörungsmythen mehr Raum als nötig einnehmen. Viertens hat die Angststrategie aber auch einen negativen Nebeneffekt in der Wirtschaft. Einerseits gibt es nach dem verordneten Shutdown die bittere Realität mit derzeit 1,5 Millionen Menschen in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit.

"Angstvokabel wurden zu täglichen Wegbegleitern"

Aber als ob das an Verunsicherung noch nicht reicht, wurden richtige Angstvokabel (man könnte es auch „Krisensprech“ nennen) zu unseren täglichen Wegbegleitern: Shutdown, Grenzschließung, Übersterblichkeit, Reproduktionsfaktor, usw. … Und über allem schwebt – dick und schwer – die unangenehmste Drohkulisse von allen, Namens „Zweite Welle“. Da fragt man sich schon, wie sollen denn unter all diesen Belastungen nicht nur finanzieller, sondern auch psychischer Art, in ihrer Existenz bedrohte Unternehmer, deren jahrelange Aufbauarbeit gerade den Kanal hinuntergeht, wieder Mut fassen, die Ärmel aufkrempeln und von neuem beginnen? Über die schleppende und teils enttäuschende reale Umsetzung des angekündigten Hoffnungsankers „Milliardenhilfe“ ist schon viel geschrieben worden. Dazu kommt die Tatsache, dass die Unternehmen das Meiste als Überbrückungshilfe wieder zurückzahlen oder Hilfen wie die Kurzarbeit jedenfalls vorfinanzieren müssen.

"Schäden sind schon jetzt beträchtlich"

Dazu benötigt man aber zunächst, wie viele mit Schrecken festgestellt haben, viel liquide Mittel. Aus welchen Quellen? Kredit? Banken sind keine Samariter (haben sie auch nie behauptet) und müssen auch ihre Richtlinien einhalten, wollen sie nicht wegen Untreue vor dem Richter landen. Geschäft? Viele Umsätze sind unverschuldet der Pandemie zum Opfer gefallen. Ersparnisse? Viele Unternehmen haben ihr Eigenkapital nach der Finanzkrise aufgezehrt oder waren nie in der Lage, überhaupt sich eines aufzubauen. So muss man sich bang die Frage stellen: stehen Industrie und ihre Dienstleister vor einem globalen Einbruch und wie wird die österreichische Industrie über die Krise kommen?

Auch wenn es dem produzierenden Sektor seit März eigentlich nie gänzlich untersagt war, zu arbeiten (mit wenigen Ausnahmen, z.B. in der Bauindustrie), sind die Schäden schon jetzt beträchtlich. Die Nachfrage ist über weite Strecken weggebrochen und die globalen Märkte sind großteils geschlossen worden. Nicht nur der Güterverkehr lahmt, Reisebschränkungen behindern Montageteams oder den gesamten Vetrieb. Die Unternehmen behelfen sich mit Homeoffice, Urlaubsabbau, Kurzarbeit und arbeiten vorwiegend laufende Aufträge ab, die noch vor der Krise eingegangen waren. Der Eingang neuer Aufträge aber stockt bedrohlich. Die große Frage ist, ob und wann neue Projekte in die Umsetzung gelangen werden. Die Prognosen der Wirtschaftsforscher sprechen von einer Rezession zwischen 5 bis 15 Prozent (man kann es sich aussuchen), aber niemand kann sagen, ob die weitere Kurve der Wirtschaftsleistung in V, L, U oder W Form verlaufen wird. Was also tun in dieser Zeit großer Ungewissheit?

  • Wieder mehr Vertrauen in die Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen entwickeln. Die Welt war, ist und wird auch nach Covid-19 voll sein von teils äußerst bedrohlichen Krankheiten und wir leben vom Export! Die MitarbeiterInnen unserer Industrie haben noch jedes Jahr diese Bedrohungen gemeistert, ob es sich um Malaria, Gelbfieber oder exotische Tropenkrankheiten handelt. Unsere Profis sind keine Halbschuhtouristen und sollten auch nicht als solche behandelt werden! Also Trennung der Regeln für Berufsreisen einerseits und Tourismus andererseits.
  • Unternehmen, die sich frühzeitig global aufgestellt haben (und in der Viruskrise nicht gleich geflüchtet sind), werden wieder schneller in die Spur kommen, weil die Märkte Asiens viel früher wieder Fahrt aufnehmen.
  • Jene sind nun im Vorteil, die in konjunkturell guten Zeiten vorgesorgt haben, die mit gebotener Vorsicht investiert und die nicht blind im Glauben auf ewiges Wachstum grenzenlos expandiert haben.
  • Unternehmen, die produkt – und marktmäßig diversifiziert sind, werden besser über die Krise kommen, weil es Branchen und Märkte immer unterschiedlich trifft.
  • Jetzt gilt es aber auch, Lieferketten und damit Abhängigkeiten neu zu überdenken und abzusichern. Nicht panisch aber nüchtern und strategisch.
  • Bei Forschung und Entwicklung dürfen wir – gerade in der Steiermark - nicht nachlassen!
  • Weitsichtige Unternehmer sollten hierzulande alles tun, um mit ihren wertvollen, gut qualifizierten Beschäftigten gemeinsam durch das Tal der Tränen zu gehen, wie es bereits während der Finanzkrise funktioniert hat. Ein unbedachter Abbau brächte irreparable Schäden für die Zukunft.

Schlussendlich ist aber besonders wichtig für Unternehmer und Mitarbeiter aller Branchen, dass ihnen seitens der obersten Volksvertreter (und auch der Medien) Optimismus für die Zukunft vermittelt wird und nicht angsteinflößende Sprüche über Wochen hinweg. Angst vermittelt nämlich nur, wer selbst keinen Plan hat und das spüren die Menschen und reagieren mit Vertrauensverlust. Und auch den Spruch von der „neuen Normalität“ sollte man sich sparen, denn was ist oder war für Unternehmer jemals normal?

Jochen Pildner-Steinburg hat bereits in jungen Jahren die Geschäfte der GAW Group (zunächst Grazer Armaturenwerke) übernommen und formte das Familienunternehmen zu einer international tätigen Industriegruppe. Bis Juli 2016 stand er zwölf Jahre an der Spitze der Industriellenvereinigung Steiermark. Er wurde u. a. mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen mit Stern des Landes Steiermark ausgezeichnet. Für sein Lebenswerk wurde er zudem mit dem Primus, dem Wirtschaftspreis der Kleinen zeitung, sowie dem "Top of Styria" prämiert.