Sebastian Kurzzieht sich gänzlich aus der Politik zurück. Offenbar waren nur engste Weggefährten im Vorfeld der Entscheidung eingebunden, der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer zeigte sich ebenso überrascht wie Mitglieder des grünen Koalitionspartners.

Politische Mit- und Gegenstreiter wünschten dem ehemaligen Bundeskanzler "alles Gute" und zollen Respekt für die "hoch private Entscheidung". In der Opposition zeigt man sich erfreut über den "längst überfälligen Schritt".

ÖVP: Dank für Kurz' Arbeit

Einer von Kurz engsten Vertrauten, Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), wollte sich heute auf einer Pressekonferenz nicht zum Rückzug seines Parteichefs äußern. Er verwies auf die angekündigte Stellungnahme seines Obmanns. Die Quereinsteiger Außenminister Michael Linhart und Arbeitsminister Martin Kocher (beide ÖVP) dankten Kurz auf Twitter für seine Arbeit und wünschen ihm alles gute für den weiteren Weg.

Seniorenbund-Obfrau Ingrid Korosec findet es "schade", dass das Talent Kurz der Politik verloren gehe. Kurz habe "stets ein offenes Ohr für die Anliegen und Bedürfnisse der älteren Menschen gehabt hat." Auch für die Anliegen der Jungen habe Kurz, der selbst aus der Jungen Volkspartei kam, ein Ohr gehabt, sagte JVP-Obfrau Claudia Plakolm. Das sei eine "hoch private Entscheidung", sagte Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer. Alle weitere Fragen werde man zeitnah im Parteivorstand der ÖVP besprechen, sagt Mahrer, der auch Präsident der ÖVP-Teilorganisation Wirtschaftsbund ist.

Rückzug "unausweichlich"

Für den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer war die Entscheidung von Kurz "unausweichlich". Kurz habe die ÖVP "in lichte Höhen geführt. Die Lage hat sich aber erheblich geändert." Der Kärntner ÖVP-Obmann Martin Gruber hält es für "bedenklich und alarmierend, dass Österreich aufgrund von Vorverurteilungen eine solche politische Persönlichkeit" verliere.

Für Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner ist es eine "höchstpersönliche", aber auch "richtige Entscheidung, um in der ÖVP wieder geordnete Verhältnisse herzustellen". Für den Tiroler Landeschef Günther Platter ist die Entscheidung "zu akzeptieren und letzten Endes auch nachvollziehbar". Kurz habe einen kräftezehrenden Kampf gegen die Pandemie sowie herausfordernde Zeiten aufgrund der "Vorwürfe und Angriffe gegen ihn persönlich" hinter sich.

Für den Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner gilt es jetzt, "nach vorne zu schauen. Wichtig ist jetzt, dass wir mitten in der Pandemie weiterhin eine stabile Bundesregierung haben". Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer attestierte Kurz, die ÖVP modernisiert zu haben, die Volkspartei habe ihm wesentliche Wahlerfolge zu verdanken.

Auch der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) dankte Kurz im ORF. Der heutige Schritt sei eine höchstpersönliche Entscheidung gewesen, "da gab es kein Drängen". Der Landeshauptmann gibt zu, "der Tag hat uns vielleicht überrascht aber menschlich und politisch kann ich diesen Schritt jetzt nachvollziehen."

Es sei jetzt zu früh, noch über Nachfolger zu spekulieren, wollte sich Stelzer nicht auf einen neuen ÖVP-Chef festlegen. Er gehe nur davon aus, dass Bundeskanzler Alexander Schallenberg die ÖVP-Spitze nicht anstrebe. Ein neuer ÖVP-Obmann sollte aber aus seiner Sicht auch die Regierung anführen. Eine Regierungsumbildung wäre die Folge.

Grüne nicht im Vorfeld informiert

Der grüne Koalitionspartner dürfte vom Rückzug im Vorfeld nichts gewusst haben. Vizekanzler Werner Kogler bekundete in einer ersten Reaktion "großen Respekt" vor Kurz' Entscheidung. "Wir haben gemeinsam in der Bundesregierung trotz aller Unterschiede viel erreicht" und auch in der Corona-Pandemie wichtige Reformen durchgesetzt, so Kogler. In einem Pressestatement wünscht Kogler Kurz "und seiner jungen Familie alles, alles Gute."

Er arbeite gut mit Innenminister Karl Nehammer zusammen, die ÖVP treffe ihre Personalentscheidungen aber selbst, will der grüne Vizekanzler mögliche Wechsel im türkisen Regierungsteam nicht kommentieren. Die grünen Mitglieder der Regierung bleiben jedenfalls dieselben.

Nina Tomaselli, grüne Fraktionsführerin im Ibiza-Untersuchungsausschuss wies darauf hin, dass heute auch der neue ÖVP-Untersuchungsausschuss auf Schiene gebracht wurde.

Opposition sieht "längst überfälligen Schritt"

"Dieser Schritt war erwartbar, er war eine Frage der Zeit", meinte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Die Frage sei nun, wie es mit der Bundesregierung und der türkis-grünen Koalition weitergehe, "die in den letzten Wochen nicht wirklich Handlungsfähigkeit an den Tag gelegt hat". Die Regierung sei nun mitten in der Corona-Krise wieder mit sich selbst beschäftigt, kritisiert auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil forderte Neuwahlen.

"Ein guter Tag für Österreich und die ganze Welt", fasst SPÖ-Nationalratsabgeordneter Mario Lindner zusammen. Kurz mache "einmal das Richtige". Der niederösterreichische SPÖ-Chef Franz Schnabl sieht einen "Rücktritt, der einem Schuldeingeständnis nahekommt".

FPÖ-Chef Herbert Kickl zeigt sich wenig überrascht: "Am Beginn des Jahres habe ich gesagt: 'Kurz muss weg'. Jetzt ist er weg." Der Druck sei zu groß geworden. Dass sich die ÖVP von Kurz distanziert habe, sei offensichtlich gewesen. "Er steht allein auf weiter Flur und zieht jetzt die Konsequenz daraus." Angesprochen auf Innenminister Karl Nehammer als neuen ÖVP-Parteichef sagte Kickl: "Schlechter kann das auch nicht sein, als das, was wir unter Schallenberg sehen."

Neos-Obfrau Beate Meinl-Reisinger wünscht Sebastian Kurz "aufrichtig alles Gute". Bei allen Unterschieden bleibe der Mensch, dem Dank für die Arbeit gebühre. Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos bezeichnete den heutigen Rückzug als "längst überfälligen Schritt". Es gelte nun, "die massiven Korruptionsvorwürfe gegen Kurz und weitere Personen des türkisen Systems aufzuklären."

Bundespräsident Alexander Van der Bellen bedankte sich telefonisch bei Kurz für dessen Arbeit als Kanzler, Außenminister und Staatssekretär. "Und ich habe ihm alles Gute für die Zukunft gewünscht", so das Staatsoberhaupt.

Auch international wird Kurz' Rückzug interessiert beobachtet:

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