Sebastian Kurz zog genau 17 Monate nach der Angelobung die Reißleine und beendet das türkis-blaue Experiment. Die Schuld schiebt der Ex-Kanzler der FPÖ in die Schuhe, diese habe nach Ibiza an Herbert Kickl festgehalten. Die FPÖ macht hingegen Kurz für den Bruch verantwortlich und fragt sich, warum Kickl das Feld räumen muss, war er doch gar nicht auf Ibiza. Sei´s drum.

Schneller als Kurz zog 1971 Bruno Kreisky die Notbremse. Nach 14 1/2 Monaten bat der legendäre SPÖ-Kanzler den Bundespräsidenten um die Entlassung seiner Regierung. Das taktische Kalkül ging auf. Kreisky regierte fortan mit absoluter Mehrheit. Noch früher zog Wolfgang Schüssel die Notbremse. Nach 12 1/2 Monaten beendete 1995 der frisch gebackene ÖVP-Chef die Zusammenarbeit mit der SPÖ und Franz Vranitzky. Der damalige Vizekanzler, ein begnadeter Kicker, verdribbelte sich allerdings, bei der Wahl im März 1996 vergrößerte Vranitzky den Vorsprung auf den ewigen Zweiten, auf die ÖVP.

Umfragen trotzen dem Wahlkampfgetöse

Geschredderte Festplatten, gestückelte Spenden, Warnrufen, dass die Justiz wie auch das Heer budgetär am Sand seien, unerträgliche Hagiografien, gepaart mit der Dauerpräsenz der Spitzenkandidaten im Fernsehen und serienweise parlamentarische Wohlfühlbeschlüsse – davon sind die Österreicher in den letzten Monaten offenbar unbeeindruckt geblieben. Glaubt man den Meinungsforschern, so perlt das Wahlkampfgetöse an den meisten Bürgern ab. Seit Ibiza sind praktisch alle Parteien in den Umfragen stabil geblieben, am ehesten hat die ÖVP verloren, unmittelbar nach dem Misstrauensantrag  knickte die SPÖ ein. Wozu also Wahlkampf?

Kandidaten bunkern sich in Wien ein

Der Wahlkampf hat sich in den letzten vier Wochen komplett ins Fernsehen verlagert. Manche Kandidaten kamen im September aus Wien gar nicht mehr raus. Allein sieben Elefantenrunden galt es zu bestreiten, Dutzende Duelle und Konfrontationen. Dass die Wähler der TV-Präsenz überdrüssig geworden sind, dem widersprechen die Quoten. 

Erstmals kein Kanzlerduell

Wann gab’s das zum letzten Mal - ein Wahlkampf, der ohne Kanzlerduell auskommt? Seit Monaten liegt die ÖVP in den Umfragen unangefochten auf Platz eins. Stimmt die Meinungsforschung, dürfte Kurz am Sonntag den größten Vorsprung auf den Zweitplatzierten seit 1945 einfahren. Den Rekord hält Franz Vranitzky, der 1990 Josef Riegler, den Erfinder der ökosozialen Marktwirtschaft, mit 10,7 Prozent deutlich auf Platz zwei verwiesen hat.

Vier Neulinge am Wahlsonntag

Obwohl die letzte Wahl nicht einmal zwei Jahre zurückliegt, sind vier der sechs Spitzenkandidaten Neulinge, nicht in der Politik, aber an der Spitze einer Partei. Nur Sebastian Kurz und Peter Pilz traten bereits 2017 an, Christian Kern, Ulrike Lunacek, Matthias Strolz und Heinz-Christian Strache sind im Laufe der letzten eineinhalb Jahre von der politischen Bühne abgetreten.

Wien ist nur noch auf Platz drei

Wien ist nach wie vor das einwohnermäßig größte Bundesland Österreichs, bei der letzten Nationalratswahl fiel die Bundeshauptstadt bei den abgegebenen Stimmen auf Platz drei zurück. Schon seit langem weist  Niederösterreich mehr Wahlberechtigte auf als Wien, wegen des hohen Ausländeranteils kann die Bundeshauptstadt nicht mehr mithalten. Dass Oberösterreich bei der Zahl der abgegebenen Stimmen nun sogar Wien überflügelt hat, liegt an der traditionell niedrigen Wahlbeteiligung im urbanen Raum. 

Acht von neun Ländern?

Ein türkis eingefärbtes Österreich mit rotem Punkt, so könnte Österreichs Polit-Landschaft laut Meinungsforschern ab Montag aussehen - nach Bundesländern aufgedröselt. 2017 holte sich Kurz sechs von neun Bundesländern, im Burgenland lag die ÖVP hauchdünn um 0,11 Prozent hinter der SPÖ. In Kärnten zeichnet sich ein Dreikampf um Platz eins ab. 2017 kam die FPÖ auf 31,75 Prozent, die SPÖ auf 29,32, die ÖVP auf 26,84. SPÖ und FPÖ müssen diesmal mit Verlusten rechen, die ÖVP darf sich  Hoffnungen auf einen Stimmenzuwachs machen. Nur Wien trotz dem Trend und bleibt - wegen des gewaltigen Vorsprungs der SPÖ - als rote Bastion bestehen.