Der Wahlkampf hat nicht nur heimische Journalistinnen und Journalisten auf Trab gehalten, auch die Korrespondenten vieler ausländischer Medien verfolgten das Geschehen und berichteten darüber. Einer von ihnen ist Stephan Löwenstein, seit 2012 Korrespondent für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Er hat schon einige Wahlkämpfe miterlebt, der aktuelle habe sich aber mehr mit sich selbst als mit Sachthemen beschäftigt. „In den Medien und in allen Diskussionsformaten standen vor allem Themen wie Wahlkampfkosten, Wahlkampfspenden und das Streuen von Informationen vor der Wahl im Fokus. Und damit Themen, die nichts mit der künftigen Regierung zu tun haben.“ Ein Umstand, der laut Löwenstein bereits im Wahlkampf 2017 zu beobachten war. „Und das trägt nicht unbedingt zur Versachlichung bei.“

Die große Zahl an TV-Debatten unterscheide den heimischen Wahlkampf laut Löwenstein zudem deutlich von jenem in anderen Ländern. „In Deutschland versucht der Amtsinhaber möglichst selten, sich auf eine Ebene mit den Herausforderern zu begeben.“ Der Umstand, dass der ehemalige Amtsinhaber Sebastian Kurz vor Beginn des Wahlkampfes abgesetzt wurde, habe ihm einen deutlichen Vorteil verschafft, sagt Löwenstein. „Er kann die Rolle des Herausforderers spielen statt jener des Titelverteidigers. Quasi der Jäger sein, statt der Gejagte.“

"Kurz hat schnell in anderen Modus geschaltet"

Ivo Mijnssen, Korrespondent bei der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ), findet es „bemerkenswert, wie schnell Kurz nach dem Aufkommen des Ibiza-Skandals in einen neuen Modus geschalten hat“ – quasi vom Kanzler auf den Wahlkämpfer. Enttäuscht zeigt sich aber auch Mijnssen über zu oberflächliche Diskussionen um wichtige Themen. „Dieser Wahlkampf hat immerhin grundlegende demokratiepolitische Fragen aufgeworfen, zum Beispiel die der Parteienfinanzierung. Während darüber in den Medien durchaus differenziert diskutiert wurde, hat man im Parlament einfach irgendein Gesetz am Problem vorbei beschlossen und sich auf gegenseitige Vorwürfe konzentriert.“

Interessant sei aus Schweizer Perspektive auch die große Begeisterung der Österreicher und Österreicherinnen für die aktuelle Expertenregierung. „Diese unaufregende Beamtenseriosität ist offenbar genau das, was die Menschen jetzt brauchen, um wieder an das System glauben zu können.“

"Wahlkampf hat sich um Kurz gedreht"

Auch Tom Nuttall, der Berlinbüro-Leiter der englischen Wochenzeitung „The Economist“, hat Teile des Wahlkampfes vor Ort miterlebt. „Dieser hat sich komplett um Kurz gedreht – und zwar nicht nur bei seiner Partei, auf deren Plakaten man das Logo schon gar nicht mehr erkennen kann, sondern auch bei den anderen Parteien.“ Die FPÖ werbe dafür, dass eine Stimme für die Freiheitlichen eine türkis-grüne oder türkis-grün-pinke Koalition verhindere, bei Neos und Grüne stehe die Frage im Raum, inwieweit man Kurz in einer Koalition über den Weg trauen könnte. „Und auch die SPÖ hat Kurz immer wieder als Feindbild thematisiert.“

Überrascht zeigt sich Nuttall hingegen über den Einfluss der Ibiza-Affäre auf den Wahlkampf. „Diese große Sache wurde publik, die immerhin der Grund für die Neuwahl war – und dennoch kam die Affäre praktisch kaum vor.“