Erster Wiener Bezirk, Himmelpfortgasse. Die Kanzlei des Wirtschaftsanwalts Norbert Wess befindet sich in einem gediegenen, an Sommertagen angenehm kühlen Altbau. Wess ist Strafverteidiger des gestürzten Martin Pucher, Hauptfigur im Skandal um eine Regionalbank, die seit Wochen Österreich beschäftigt.

Pucher ist nicht da – und dennoch omnipräsent.

„Er selbst möchte keine Interviews geben. Er weiß, dass dies als Affront gegenüber den Geschädigten empfunden würde“, sagt Wess, Außerdem lasse dies der Gesundheitszustand des 64-Jährigen nicht zu – dazu unten mehr. Auf die Frage, warum sein Mandant auf freiem Fuß sei, antwortet der Anwalt sehr bestimmt: „Es gibt für eine Haft keine rechtliche Grundlage und ich bin froh, dass sich die Staatsanwaltschaft im Rechtsrahmen bewegt.“ Pucher sei zu Hause in Hirm im Burgenland und werde von seiner Frau und den Töchtern versorgt. Bis jetzt wurde er zwei Mal einvernommen, mit seinem Anwalt steht er mehrmals wöchentlich in Kontakt.

Erste Fälschungen 1992

Wess spricht für Pucher über ...
... den Anfang: Bereits 1992, erinnert sich Pucher, habe er begonnen, Guthaben bei anderen Banken zu erfinden. „Das waren ein bis zwei Fälle in kleinem Ausmaß“, sagt Wess. Damals war Pucher 36 und noch bei Raiffeisen. Als Grund gibt er den hohen Ergebnisdruck der Bank an. Er habe eine Kollegin als Helferin gehabt, damals erst 27. Sie sei, so Pucher, über die Jahre mit ihm einzige Ausführende gewesen, wobei die Initiative von ihm ausgegangen sei. Wess: „Pucher hat sie allein deshalb gebraucht, da er mit einem Computer nicht umgehen kann.“

Anwalt Norbert Wess
Anwalt Norbert Wess © Gaisch-Faustmann

Die Frau war ab 1997 Vorstandsmitglied der Commerzialbank (Cb), die sich 1995 vom Raiffeisensektor gelöst hatte. Nur sie und Pucher werden von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigte geführt – wenn auch die Ermittler bei anderen (ehemaligen) Mitarbeitern der Cb zu Hausdurchsuchungen angerückt sind. Pucher, so Wess, beharre darauf, dass es keine weiteren Mittäter und Mitwisser gebe.

Das Versagen der Aufsicht

... Prüfer und Aufsicht: Es ist in der Causa das Reizthema schlechthin, auch für Anwalt Wess. Die Bank wurde offenbar noch öfter geprüft als bekannt. „Von 1994 bis 1998 gab es drei Prüfungen durch die Nationalbank“, sagt er. Es folgten weitere 2015, 2017 und 2020.

„Es stört mich, dass jede Institution sagt, sie hätte keine Chance gehabt, etwas zu entdecken. Das macht mir als Staatsbürger Sorgen, das müssen wir selbstkritisch betrachten und besser machen, sonst erleben wir das in fünf Jahren wieder“, warnt der Anwalt. Denn es sei „nicht besonders schwierig gewesen, das Konstrukt so hochzuziehen“, so Wess mit Blick auf viele gefälschte Konten und Kredite. „Weder das eine, noch das andere wurde genau geprüft.“

Kompetenzen

So fordert Wess strukturelle Verbesserungen, beginnend bei der Zusammensetzung der Aufsicht in der Bank. „Da hinein gehören Experten des Wirtschaftsstrafrechts.“ Im Fall der Cb waren es Freunde Puchers, ohne Kompetenz für die Funktion. 2015 dauerte eine Prüfung der Cb durch die OenB von Mai bis September. Zugleich erhielt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft den Hinweis eines Whistleblowers. Weil die Finanzmarktaufsicht nichts fand, legte die Staatsanwaltschaft die Anzeige zurück. „So ein Hinweis ist auch dem Aufsichtsrat zur Kenntnis zu bringen“, meint Wess. Er fordert außerdem, Wirtschaftsprüfer vom Bankgeheimnis zu befreien.

Martin Pucher. Der SV Mattersburg war seine schöne Welt.
Martin Pucher. Der SV Mattersburg war seine schöne Welt. © Gepa

Wohin die Millionen flossen

...den Verbleib des Geldes: Bis zu 700 Millionen Euro soll der Abgang aus der Bank betragen. Ab 2003, mit dem Aufstieg in die Bundesliga, floss Geld von der Bank in den SV Mattersburg. „Der Betrag liegt bei acht bis 15 Prozent der Summe“, sagt Wess für seinen Mandanten.

Mindestens 50 bis 60 Prozent seien laut Pucher „verbrannt, indem wir die Bank derart am Leben hielten.“ Da hinein fallen unter anderem Gehälter und Mieten für 25 bis 30 Jahre. Gewinn schrieb die Bank nie, de facto sei sie 2000 pleite gewesen. Die Steuern, die in all den Jahren aufgrund erfundener Gewinne gezahlt wurden, seien rückforderbar, ist Wess überzeugt. Weitere Millionen flossen in notleidende Kredite, die weiter bedient worden seien. Pucher bestreitet, sich persönlich bereichert zu haben. Sein letztes Jahresgehalt aber betrug brutto fürstliche 350.000 Euro im Jahr.

Das Geständnis

Am 14. Juli um 12 Uhr – Prüfern der OeNB waren Unregelmäßigkeiten bei zwei Krediten aufgefallen – legte Pucher persönlich die Fälschungen offen, erstattete Selbstanzeige, legte Funktion und Bankschlüssel zurück. Zu Hause weihte er erstmals seine Familie ein, die bis dahin, davon ist Wess überzeugt, nichts gewusst habe. Puchers Tochter schrieb ein Mail an den Chef des Aufsichtsrates und dessen Stellvertreter, seine Ehefrau telefonierte mit einer engen Freundin, einer Beamtin beim Land Burgenland. „Es wurde niemand gewarnt und es ist kein Geld mehr aus der Bank abgeflossen“, betont Wess.

Schlaflose Nächte

...den Mensch Pucher: „Er bittet nicht um Verzeihung, er verzeiht es sich selbst nicht“, erklärt der Verteidiger. Das Lügengebäude hat Pucher massiv belastet, 20 Jahre, sagt er, habe er nicht schlafen können.

Am Anfang meinte er, aus dem Teufelskreis der Fälschungen herauszukommen, das Gegenteil war der Fall. Das Motiv? „Eine Form von Eitelkeit“, sagt Wess. Der SV Mattersburg sei die „schöne Welt“ für ihn gewesen, „dort wurde er hofiert und geschätzt, das gefiel ihm.“ 2015 – nach der Bankprüfung – erlitt Pucher zwei Schlaganfälle, von denen er sich bis heute nicht erholt hat. Der Mann, der zwei Jahre die Handelsakademie besucht und eine Banklehre absolviert hatte, war spätestens da auch gesundheitlich nicht mehr in der Lage, eine Bank zu führen (wirtschaftlich war er es nie). Er werde Pflegegeld beantragen.

Das "Positive" an Pucher

Doch ist da auch diese Ambivalenz: „Mich erstaunt, wieviele Menschen Martin Pucher positiv sehen. Er sei ein Ehrenmann, ein g’rader Michl gewesen, freundlich und wertschätzend – das sagen Leute, die ihn kannten“, schildert Wess.

Sein Mandant steht vor der Privatinsolvenz, das Eigentum wird in die Konkursmasse fließen. Mit dem Beginn des Strafprozesses wegen Untreue und Bilanzfälschung rechnet Wess in vier Jahren. Strafrahmen: zehn Jahre Haft. Es gilt die Unschuldsvermutung.