Wie die italienische Zeitung "La Repubblica" vermeldet, ist der ehemalige Fiat-Boss Sergio Marchionne heute verstorben. Fiat hat die Meldung mittlerweile bestätigt. Fiat- und Ferrari-Präsident John Elkann: "Leider ist das, was wir befürchtet haben, eingetreten. Sergio Marchionne, ein Mann und Freund, ist fort."

Gestern hatte es noch geheißen, der Gesundheitszustand des Ex-CEO des Autobauers Fiat Chrysler (FCA), der sich seit drei Wochen auf der Intensivstation des Zürcher Universitätskrankenhaus befindet, sei stabil. Marchionne lag im irreversiblen Koma.

Eigentlich hätte der 66-jährige Marchionne erst im kommenden Frühjahr nach der Vorstellung der Ergebnisse 2018 das Zepter Fiat aufgeben und weiterhin Präsident der Tochter Ferrari bleiben wollen. Gesundheitsprobleme machten dem Italo-Kanadier einen Strich durch die Rechnung. Anfang Juli wurde Marchionne einem chirurgischen Eingriff unterzogen.

Seitdem ist er nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. Der Aufsichtsrat von Fiat und Ferrari ernannte bei einer Sondersitzung  den 54-jährigen Topmanager Mike Manley zum Nachfolger Marchionnes. Damit geht bei dem siebentgrößten Autokonzern der Welt eine Ära zu Ende.

Porträt: Topmanager im Wollpullover

Als im Juni 2004 der damals 51-jährige Marchionne sein Büro in Turin bezog, kannte ihn kaum jemand. Beim Zertifizierungs-Weltmarktführer SGS war er Chef, bevor er zu Fiat gerufen wurde. In Turin fand der Sohn eines Carabiniere aus der bergigen Abruzzen-Region, der mit 14 Jahren nach Kanada ausgewandert war, eine katastrophale Lage vor. Seit wenigen Tagen war der Verwaltungsratschef und letzte Patriarch der Dynastie der Fiat-Eigentümer Agnelli, Umberto Agnelli, gestorben. CEO Giuseppe Morchio, der anstelle des Verstorbenen zum neuen Fiat-Verwaltungsratschef aufrücken wollte, war aus Protest zurückgetreten, weil ihm die Agnelli-Erben den Karrieresprung verweigert hatten. Zwei Millionen Euro pro Tag verlor der Konzern, der an den Rande des Abgrunds geraten war. Marchionne stand vor einem Scherbenhaufen.

Mit hartem Sparkurs und neuen Automodellen gab Marchionne dem Bankrott-Kandidaten seinen Stolz als italienische Traditionsfirma wieder zurück. Für den Mann mit dem runden Gesicht und der Brille, der gerne unkonventionell auftrat, aber intern mit harter Hand und kompromisslosem Verhalten regierte, war dies nur der erste Schritt. Nach einem Streit mit dem Wiener Manager Herbert Demel übernahm Marchionne 2005 persönlich die Führung der Fiat-Autosparte.

Sergio Marchionne mit Nachfolger Mike Manley
Sergio Marchionne mit Nachfolger Mike Manley © AP

Schon wenige Monate nach seiner Ankunft in Turin verkündete Marchionne seine Visionen: Künftig werde es nur noch fünf oder sechs große Autobauer auf der Welt geben. Seine Überlebensstrategie für den kriselnden Autobauer hat der selbstbewusste Manager, der auch vor einem hochkarätigen Auditorium im Wollpullover auftritt, in diesen Jahren knallhart umgesetzt. Dabei scheute er sich nicht vor unpopulären Beschlüssen, um Fiat zu sanieren, interne Bürokratie abzubauen und die Entwicklungszeiten für neue Modelle drastisch zu reduzieren. Er richtete das über 100 Jahre alte Unternehmen neu aus und führte es zurück in die schwarzen Zahlen. Vor allem die Kooperation mit dem US-Konzern Chrysler, den Fiat 2014 komplett übernommen hat, erwies sich als der erfolgreichste Drahtseilakt in Marchionnes spektakulärer Karriere.

Der Vater zweier Töchter hat viel Lob geerntet, zugleich auch viele Feinde gehabt. Sein überdurchschnittlicher Ehrgeiz, der zwar anregend, aber zuweilen auch fordernd und aggressiv wirkte, brachte ihm vor allem Probleme mit dem linken Gewerkschaftsverband FIOM ein, der in Italiens Fiat-Produktionswerken das Sagen hat. Auch bei den Arbeitnehmern war Marchionne wegen seiner Vorgehensweise, die die Rolle der Gewerkschaften wenig berücksichtigt, nicht besonders populär. Die italienische Belegschaft befürchtete vor allem, dass nach der Chrysler-Übernahme fünf italienische Standorte schrittweise abgebaut und ins Ausland verlegt werden könnten. Scharfe Kritik zog sich Marchionne auch mit dem Beschluss zu, den Firmensitz von Turin nach London zu verlegen. 2014 entthronte er den langjährigen Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo, der in der Formel 1 keine Erfolge mehr erntete, und übernahm selber das Ruder des Luxusauto-Konzerns. Ferrari wurde 2015 von FCA ausgliedert und 2016 mit Erfolg an die Mailänder Börse gebracht.

Sergio Marchionne mit dem langjährigen Ferarri-Chef Luca di Montezemolo
Sergio Marchionne mit dem langjährigen Ferarri-Chef Luca di Montezemolo © AP

Sergio Chiamparino, Präsident der Region Piemont und ehemaliger Turiner Bürgermeister, lobte Marchionne wegen seines Sanierungstalents. "Marchionne hat nicht nur den Weg gefunden, Fiat zu retten, sondern auch, daraus einen Weltkonzern zu machen. Er hat gleichzeitig eine Strategie entwickelt, um die Arbeitskräfte flexibler einzusetzen und dem globalen Wettbewerb effizienter standzuhalten", so Chiamparino.

Marchionne hinterlässt seinem Nachfolger ein solides Unternehmen. Italiens bestbezahlter Manager hatte erst im Juni den Entwicklungsplan von FCA bis 2022 vorgestellt, das Investitionen in Höhe von 45 Milliarden Euro vorsieht. Gerechnet wird mit einem jährlichen Umsatzwachstum von durchschnittlich 7 Prozent. Die Umsätze der Marken Jeep, Alfa Romeo, Maserati und Fiat Professional sollen zwischen 65 Prozent und 80 Prozent wachsen. FCA will 9 Milliarden Euro investieren, um seine Modelle auch in der elektrischen Version anzubieten. Bis Ende 2021 will FCA keine Dieselautos mehr herstellen. FCA ist seit Ende Juni schuldenfrei.

Halbjahreszahlen

Fiat Chrysler FCA hat am Todestag seines langjährigen Chefs Sergio Marchionne Halbjahresergebnisse bekanntgegeben. Der Umsatz kletterte im ersten Halbjahr 2018 um 1 Prozent auf 56 Milliarden Euro. Der Nettogewinn sank um 1,0 Prozent auf 1,775 Milliarden Euro, teilte der Konzern am Mittwoch in Turin mit.

2,5 Millionen Fahrzeuge wurden im ersten Halbjahr 2018 abgesetzt, was einem Plus von 6,0 Prozent entspricht. Im zweiten Quartal lag der Umsatz bei 29 Milliarden Euro, der Gewinn bei 754 Millionen Euro, was einem Rückgang von 35 Prozent gegenüber dem Vergleichsquartal 2017 entspricht. Der Konzern ist seit Juni schuldenfrei und kann auf eine Nettoliquidität von 500 Millionen Euro zurückgreifen, teilte das Unternehmen mit.

Der Automobilkonzern startet demnächst startet mit der Umsetzung des Plans für die Abspaltung des Zuliefergeschäfts Magneti Marelli. Vorgesehen ist die Ausgliederung der Gesellschaft und deren Börsengang. Die Auslagerung der Tochter, die bis Anfang 2019 abgeschlossen werden soll, wird Magneti weiteres Wachstum bescheren.