Warum Wien? Warum just Wien als Ort des Terrors?
FRANZ EDER: Ich denke, dass wir falsch liegen, wenn wir davon ausgehen, dass das ein Terroranschlag ist, der zentral geplant, organisiert und in Auftrag gegeben wurde. Ein junger Radikaler hat Wien ganz einfach als Anschlagsort gewählt, weil er dort aufgewachsen ist.

In der Vorwoche stürmten Jugendliche in Wien-Favoriten in eine Kirche und riefen „Allahu Akbar!“: Ist es in Wien leichter möglich, etwas anzustellen?
Nicht leichter, aber Wien ist eine Großstadt. Da gibt es ein größeres Potenzial an Menschen, die sich radikalisieren können.

Hängt das auch mit falsch verstandener Toleranz zusammen? Lassen wir zu viel zu?
Ich denke, dass ein weniger toleranter Staat mehr Menschen dazu bringen würde, sich zu radikalisieren. Weniger Toleranz wäre kontraproduktiv.

Wie schätzen Sie das Problem der Parallelgesellschaften ein?
Beim Attentäter in Wien geht es um einen Menschen, der in Mödling in eine Familie hineingeboren wurde, die integriert war. Da sehe ich keine Parallelgesellschaft. Wäre der Anschlag von einem Rechtsextremisten gekommen, hätten Sie mich vermutlich nicht nach einer Parallelgesellschaft gefragt, obwohl es bei Islamisten wie bei Rechtsextremisten ein ähnliches Verhalten gibt.

In den vergangenen Wochen wurde Frankreich von Terrorattacken schwer gebeutelt. Ein Lehrer wurde enthauptet. Wird der islamistische Terror wieder stärker?
In Frankreich war es ein 18-Jähriger, jetzt in Wien war der Attentäter 20. In diesem Alter sind Menschen besonders empfänglich für Radikalisierung und für Gruppen, in denen sie plötzlich etwas gelten. In diesen Kreisen fühlen sie sich stärker aufgenommen. Von der Gesellschaft, aus der sie kommen, entfremden sie sich zusehends. Das Wir-Gefühl: ,Jetzt zeigen wir es denen’ führt zu dieser brutalen Entwicklung. Das Internet ist auch ein enormer Verstärker. Diese Leute schauen sich Videos aus den Balkankriegen oder aus dem Tschetschenienkrieg an, wo mit übelster Brutalität gegeneinander gekämpft wurde.

Und verrohen dabei?
Ja, und fühlen sich nicht mehr an gesellschaftliche Normen gebunden. Wir dürfen den Attentätern aber nicht soviel Platz geben, weil wir sonst eine Grundlage für Nachahmung schaffen. Der Täter steht erstmals in seinem Leben im Rampenlicht. Genau das will er.

Was also tun?
Natürlich berichtet man über den Täter und die Umstände. Aber wir dürfen den Terroristen nicht zu viel Bühne geben. Denn dann sind wir ihre Erfüllungsgehilfen. Außerdem haben wir genug andere große Probleme. Wir haben eine Pandemie zu bewältigen, und auch die US-Wahl ist wichtig.