Kurz nach 20 Uhr fallen in der Wiener Innenstadt Schüsse, wenig später ist klar: Die Bundeshauptstadt wurde Ziel eines Terrorangriffes. Bisheriger Zwischenstand: vier Tote, 22 Verletzte, 14 Festnahmen. Sieben Personen in lebensbedrohlichem Zustand. Der Polizeieinsatz ist weiterhin im Gange, in der Nacht auf Dienstag waren rund 1.000 Beamtinnen und Beamten im Einsatz.

Damit große Einsätze wie diese nicht unkoordiniert ablaufen, gibt es ein vorgegebenes Ablaufschema, das auch diesmal zum Einsatz kam, erklärt Bernhard Treibenreif, Direktor des Sondereinsatzkommandos "Cobra". "Alles begann mit der Chaosphase, wie wir sie nennen. Dabei trudelten erste Anrufe bei der Polizei von Zeugen und Anrainern ein, die Lage war unübersichtlich." Die Einsatzkräfte haben sich dann "in sehr kurzer Zeit" einen Überblick über die Lage verschafft, schnell sei klar gewesen, dass es sich um eine "Terror Lage" handle.

Cobra-Beamte "zufällig" in der Nähe

Im nächsten Schritt wurde die "Einsatzleitung" zusammengestellt. Alle Blaulichtorganisationen haben hier feste Ansprechpartner, die ihre Bereiche wie Spurensicherung, Rettung, Verkehrssperren und Co. koordinieren. Dass die Cobra innerhalb weniger Minuten vor Ort waren, sei übrigens Zufall gewesen, erklärt Treibenreif. "Wir hatten zahlreiche Beamte, auch aus anderen Bundesländern, für die Einsatzbesprechung für eine andere Aktion in Wien. Sie konnten wir innerhalb kürzester Zeit einsetzen." Noch schneller waren aber eine Streife sowie Kollegen von der "Wega" vor Ort, die den Täter neun Minuten nach Eintreffen des ersten Anrufs von Zeugen "neutralisieren" konnten, wie es im Polizeijargon heißt.

Während die Stabsfachbereiche koordiniert werden, begann es für die Einsatzkräfte vor Ort kompliziert zu werden. "Die Lage war unsicher, deshalb musste geklärt werden, wie groß die Gefahr für Rettungskräfte und Passanten vor Ort war und ob sich etwa flüchtige Täter unter ihnen befinden." Hier habe man genau abwägen müssen. "Zudem waren wir sicher drei Stunden mit Einsätzen beschäftigt, die sich als Fehlalarme herausgestellt haben." Unzählige Zeugen und Anrainer meldeten Geiselnahmen und andere Falschinformationen, denen nachgegangen werden musste. "Die Wahrnehmung der Menschen verändert sich, wenn sie Angst oder extremen Stress haben", sagt Treibenreif. "Sie bekommen dann einen Tunnelblick und nehmen Dinge wahr, die nicht der Realität entsprechen."

"Bewegungsraum des Täters einschränken"

Die Menschen, die sich in der Innenstadt aufgehalten haben, haben sich jedoch vorbildlich verhalten, so Treibenreif. "Es war wichtig, dass die Leute drin geblieben sind und sich ruhig verhalten haben. Wenn auf einmal hunderte Menschen aus einem Theater strömen würden, während der oder die Täter noch unterwegs sind, wird das äußerst gefährlich." Die Wiener Polizei habe hier vorbildlich gehandelt und über Soziale Netzwerke Informationen in Echtzeit geliefert.

Währenddessen wurden Verkehrssperren errichtet, um den Bewegungsraum des oder der Täter einzuschränken. Auch Grenzkontrollen zu den Nachbarländern wurden hochgefahren. "Das sind essentielle Schritte", sagt Treibenreif.

Vorarbeit "in Friedenszeiten"

Dass Zuständigkeiten und Protokoll so klar sind, sei laut Treibenreif auch gewissenhafter Vorbereitung "in Friedenszeiten" geschuldet. Erst 2018 hatten alle Einsatzorganisationen in einer großen gemeinsamen Übung einen Terroranschlag im Wiener Zentrum geübt. Zudem habe man nach den Anschlägen in Paris 2015 in Österreich gemeinsam mit allen Einsatzorganisationen ein eigenes "Handbuch für gefährliche Lagen" erarbeiten, "um solche Vorfälle in vorbestimmte Bahnen lenken zu können", sagt Treibenreif.

Österreich sei aber auch in engem Austausch mit Sondereinheiten anderer Länder, um sich beim Vorgehen gegen Anschläge abzustimmen. Treibenreif selbst ist Präsident des europäischen Sondereinheitenverbunds "Atlas", in dem 38 europäischen Polizei-Spezialeinheiten vertreten sind. Das Projekt ist Teil des "Europäischen Polizeiamtes" (Europol) und hat den Zweck, durch gemeinsame Workshops und Einsatzszenarien von durchgeführten Anti-Terror-Einsätzen zu lernen.

Auch für die weitere Vorgehensweise nach der Terrorattacke in Wien gibt es genaue Richtlinien, erklärt Treibenreif. Auskunft darüber gibt er jedoch keine. "Die Einsatzkräfte geben sich damit so bedeckt, um keine möglichen Ermittlungsansätze oder Spuren zu gefährden." Hinter den Kulissen werde jedoch "auf Hochtouren" weitergearbeitet. Die Erhöhte Sicherheitsstufe in Wien bleibt indes weiter aufrecht.