Diese Show hätte keine Preischancen gehabt. Regiestar Steven Soderbergh wollte die 93. Oscar-Verleihung im Pandemiejahr glänzen lassen und hat sie als Film inszeniert. Aber: Der Plot schwächelte, Humor, Showeinlagen, bissige Kommentare sowie Action fehlten und der einschläfernde Spannungsbogen baute sich gar nicht auf, sondern brach gegen Ende abrupt ab. Ein bisschen kam man sich vor wie im schlechten Film. Keine Bestnoten für diese Nacht. Obwohl Regina King eingangs gleich einmal das Motto der intimen, pandemiebedingten Hausparty festlegte: Als Mutter eines Sohnes kenne sie die Angst, sprach sie Polizeigewalt und Rassismus eingangs direkt an. Das könne auch Vermögen oder Ruhm nicht ändern. 

Aber: Für die Ausgezeichneten gilt diese schlechte Bilanz nicht. Ganz im Gegenteil: Die Gewinnerinnen und Gewinner in diesem Jahr schreiben vielfach Oscar-Geschichte. Mehr noch: Sie machen den wichtigsten und prestigeträchtigsten Filmpreis der Welt fit für die Gegenwart und überlebensfähig für die Zukunft. Der Popularitätsverlust ist vorerst abgesagt. Als im Vorjahr die koreanische Sozial-Satire "Parasite" als erster fremdsprachiger Film abräumte, fragten sich viele, ob das eine Eintagsfliege sei oder sich die Academy endlich Richtung Weltkino bewege und nun aufhöre, nicht-weiße Stimmen, Geschichten und FilmemacherInnen zu ignorieren. In diesem Punkt war die Gala wie ein Neustart: ein höchst erfrischender.

Jetzt ist schon wieder was passiert – könnte man in Anlehnung an Wolf Haas sagen. PionierInnnen haben sich einen Platz auf der ewigen goldenen Liste gesichert: Die 39-jährige Chloé Zhao holte sich als erst zweite Frau einen Regie-Oscar, als erste gebürtige Chinesin und als erste Nicht-Weiße. Und als Mit-Produzentin ehrte sie die Academy mit einer zweiten Auszeichnung in der Königsklasse bester Film. Mit dem dritten Streich, Frances McDormand als beste Hauptdarstellerin, mutierte "Nomadland" in diesem Kinokrisenjahr zum Abräumerfilm. Das ist durchaus beachtlich: Zhao erzählt darin eine Geschichte von einem kaputten amerikanischen Traum. Wahrhaftig, bildgewaltig und mit ungetrübtem Blick auf die Außenseiter dieses Landes begleitet sie ihre Protagonistin Fern, die ihre Arbeit verliert, als die Fabrik in ihrer Stadt schließt. Fortan startet sie ein Nomadenleben, lebt aus dem Campervan und emanzipiert sich. Es ist vielleicht nicht der beste Film der 39-Jährigen, aber auf jeden Fall jener, der ihr den Weg nach Hollywood geebnet hat. Als fantastische Erzählstimme. "Es ist toll, eine Frau zu sein", sagt Zhao.

Die Debatte um #BlackLivesMatter und #OscarsSoWhite bestimmte die Nacht – aber nicht so sehr durch Dankes- oder Kampfesreden, sondern stärker durch die vielen People of Color, die auf der Bühne Preise entgegennahmen: Daniel Kaluuya erhielt einen Oscar für das politische Biopic über "Black Panther"-Visionär Fred Hampton in "Judas and the Black Messiah". Die koreanische Mimin Youn Yuh-jung bekam als erst zweite Asiatin einen Darstellerpreis für "Minari". Mia Neal und Jamika Wilson sind die ersten schwarzen Frauen, die für "Ma Rainey's Black Bottom" für bestes Make-up und Hairstyling mit einem Goldbuben geehrt wurden, Jon Batiste wurde neben Atticus Ross und Trent Reznor für den Soundtrack für "Soul" ausgezeichnet und die erst 35-jährige Britin Emerald Fennell sicherte sich einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch, als erste Frau nach 14 Jahren.

So weit, so divers. Das wirklich Erfreuliche ist aber, dass sich die Kinofilme in diesem Jahr der Krise als resistent erweisen. Die Geschichten, die sie erzählen, sind jung, divers, zeitgenössisch, interessant und historisch einordnend. Vor fünf Jahren hätte die Schwarz-Weiß-Hommage "Mank" über den Streit zum Drehbuch zu "Citizen Kane" triumphiert. Keine Frage. 2021 blieben von zehn Nominierungen zwei Goldbuben übrig: bestes Produktdesign und beste Bildgestaltung. Wie überhaupt die Streamingdienste nicht besonders reüssierten in diesem Pandemiejahr. Auch das ein Geschichtsstrang dieser Gala.

Man darf nicht nur auf einen Paradigmenwechsel hoffen, sondern sich auf ihn freuen: auf mehr Internationalität, Weiblichkeit, Diversität und Versöhnlichkeit. Kurz: auf ein bisschen mehr Gegenwart und Mehrheitsgesellschaft. Auf der Leinwand wie im Leben. Das sind nicht die schlechtesten Nachrichten aus dieser Oscarnacht. Wer weiß: Vielleicht klappt es dann künftig auch mit den Quoten wieder. Und gerne mit ein bisschen mehr Show-Glamour.