Es ist ihr ungetrübter, aber stets zärtlich-versöhnlicher Außenseiterblick, der Chloé Zhao als Filmemacherin auszeichnet. Die 39-jährige Drehbuchautorin, Regisseurin, Cutterin und Co-Produzentin hat in der Nacht auf Montag Oscargeschichte geschrieben. Mehrfach. Für ihren Roadtrip "Nomadland" hat sie, wenig überraschend, bei dieser seltsamen, redseligen und ohne echten Höhepunkt auskommenden Academy-Awards-Show in den Königskategorien bester Film und beste Regie einen Oscar abgeräumt. Sie nahm die Preise mit geflochtenen Zöpfen und in Sneakers entgegen. Hauptdarstellerin, Ideengeberin und Mitproduzentin Frances McDormand veredelte sich mit ihrem dritten Schauspiel-Oscar. Der filmische Abgesang auf die USA gilt damit als Oscar-Abräumer. Der Film wurde fürs Kino aufgehoben und startet demnächst auf der großen Leinwand. Chloé Zhao ist damit nicht nur eines der Beispiele der neuen Diversität bei dieser Oscar-Gala, sondern die erst zweite Regisseurin, die in 93 Jahren reüssierte. Zudem ist sie die erste Asiatin.

In "Nomadland" erzählt Zhao, wie schon in ihren beiden Vorgängerfilmen "Songs My Brothers Taught Me" (2015, auf Mubi streamen) sowie "The Rider" (2017, verfügbar auf u. a. Amazon, iTunes etc.), von Menschen, die im Abseits stehen, die aus der Gesellschaft gefallen sind. Sie skizziert Wohnmobil-Nomaden in den USA. Amazon entwickelte bekanntlich mit "Camper Force" eine umstrittene Strategie und gab so ausgemusterten ArbeiterInnen Jobs – oft im Nirgendwo des Landes angesiedelt, die Bezahlung ist schlecht, die Überwachung überengagiert.

An einem dieser Orte durfte die Oscarpreisträgerin ihren Film drehen. Und genau diese Szenen sind es auch, die ihr zuletzt Kritik einbrachten. Zwar nicht glorifizierend, aber zu positiv hätte sie die Tätigkeiten bei Amazon skizziert. Es sieht nicht nach luxuriösen Jobs aus, dennoch haben die LeiharbeiterInnen Spaß bei der Arbeit. Sie feiern in der Fabrik, abends vor ihren Wohnmobilen weiter. Manche werden auch krank, schwer krank. Nicht alle haben eine Versicherung.

Die 1982 in Peking geborene und in Großbritannien und den USA eigentlich in der Oberschicht aufgewachsene Filmemacherin hat sich auch in ihrem dritten, bislang größten Film nicht von diesem Außenseiterblick abgewandt. Chloé Zhao skizziert auf zärtliche, berührende Art und Weise die Vielfalt des amerikanischen Traums. Sie erzählt darin von ProtagonistInnen abseits bekannter Plots und spart die Schattenseiten und bitteren Erkenntnisse von Biografien am Rand der Gesellschaft nicht aus. Und ihre fast schon dokumentarisch anmutenden Arbeiten, basierend auf langen Recherchen, spielen in South Dakota, Nebraska, Nevada, Kalifornien und Arizona. Die Dialoge sind in ihren Filmen rar, dafür erzählen die Gesichter der AkteurInnen (vorwiegend Laiendarstellende) und die bildgewaltigen, poetischen Landschaften (Kameramann Joshua James Richards ist ihr Lebenspartner) voller Steppen, Wüsten und Schlammseen jede Menge beeindruckende Geschichten.

Der Oscar, sagte sie, sei für jeden, "der den Glauben und den Mut hatte, an der Güte in sich selbst festzuhalten und an der Güte ineinander festzuhalten, egal wie schwierig das ist". In China wurde die Show erstmals seit 50 Jahren nicht übertragen, auf den historischen Erfolg der in Peking geborenen Filmemacherin reagierte man zurückhaltend. Wichtige Staatsmedien, darunter die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua und der Staatssender CCTV, berichteten am Montag zunächst überhaupt nicht über die Verleihung des Preises an sie. Auf sozialen Medien geteilt, fand die Botschaft dennoch den Weg über den Indischen Ozean. Mit ihrem nächsten Film könnte sich alles ein wenig ändern: Zhao entert die Spielwiese der großen Budgets und des prestigeträchtigen Marvel-Universums: Soeben hat sie den SuperheldInnenfilm "The Eternals" abgedreht. In den Hauptrollen: Angelina Jolie und Salma Hayek.