Ricardo Salles war als Redner nach Salvador de Bahia gekommen, wo in dieser Woche die lateinamerikanische und karibische Woche zum Klimawandel stattgefunden hat. Der brasilianische Umweltminister wollte die Amazonas-Politik der Regierung des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro verteidigen. Und bekam Pfeifkonzerte zu hören und viele Plakate mit „Der Amazonas steht in Flammen“ darauf zu sehen.

Mehr als 70.000 Brände hat das Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais (INPE, nationales Institut für Weltraumforschung) seit Anfang des heurigen Jahres registriert, was einer Zunahme von mehr als 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. So haben die Wälder in Brasilien lange nicht mehr gebrannt, was auch die G7 auf den Plan brachte (siehe auch Seite 8/9).
In den meisten Fällen waren Flächen in Privatbesitz betroffen, aber das Feuer schreitet selbst in Naturparks und Indigenen-Gebiete voran. Der Bundesstaat Mato Grosso im westlichen Zentralbrasilien ist der Staat mit den meisten Brennpunkten. Mato Grosso lebt vom Agrobusiness, exportiert Soja, Mais, Baumwolle. Umweltschützer und Menschenrechtsvertreter werfen Bolsonaro vor, mit seiner Ankündigung, Amazonien zur wirtschaftlichen Nutzung freizugeben, die Abholzung und Brandrodung zu befördern. Die Zeitung „Folha de S. Paulo“ berichtete, dass „Fazendeiros“, die sich von Bolsonaros Rhetorik ermutigt gefühlt haben, in einigen Regionen, etwa im Bundesstaat Pará, „Tage des Feuers“ ausgerufen hatten, an denen sie Platz für neue Weideflächen schufen. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen ein, auch um zu prüfen, warum staatliche Stellen dies nicht verhinderten.

Getreu seinem Stil hat der brasilianische Präsident die Verantwortlichkeiten umgekehrt. Er bezeichnete die Waldbrände als „kriminell“ und beschuldigt Nichtregierungsorganisationen, daran beteiligt zu sein, ohne dafür Beweise zu liefern. Internationale NGOs wie Greenpeace oder WWF gehören zu seinen Lieblingsgegnern. „Es kann – ich bestätige das nicht – eine kriminelle Aktion dieser NGOs geben, um die Aufmerksamkeit gegen mich zu wecken, die Regierung Brasiliens. Das ist der Krieg, in dem wir uns befinden“, sagte Bolsonaro. „Ich wurde Kapitän Kettensäge genannt. Jetzt bin ich Nero, der den Amazonas anzündet.“

Häuptling klagt an

Der brasilianische Häuptling Raoni Metuktire machte Bolsaro direkt verantwortlich für die Brände und rief die internationale Gemeinschaft zum Einschreiten gegen den Staatschef auf. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und weitere internationale Akteure könnten „Druck machen“, damit das brasilianische Volk Bolsonaro „los wird“.

Die Regierung Brasiliens hatte bisher wenig gewillt gewirkt, die Brände zu bekämpfen. Was nunmehr auch den Unmut im eigenen Land angeheizt hat. Der brasilianische Umweltminister Salles bekam bei der lateinamerikanischen Klimawoche in Salvador zu spüren, wie sensibel die Stimmung in Brasilien derzeit ist, wo etwa in Rio de Janeiro gestern eine Kundgebung im Zentrum stattfand. Für heute ist eine Demonstration in Ipanema angekündigt. Immerhin setzt die Regierung nun 44.000 Soldaten für Löscharbeiten und auch für die Verfolgung von Brandstiftern ein. Ein erster Schritt, um die Stimmung im Land zu beruhigen.

Die unbekannte Region

Die Amazônia Legal – ein Gebiet, das neun Bundesstaaten im Amazonas-Becken und darum herum umfasst – ist ein anderes Land oder ein Land im Land. Viele Brasilianer haben kein Geld, um dorthin zu reisen. Die meisten der Brasilianer kennen das Naturjuwel Amazonien also selbst nicht wirklich. Doch dadurch, dass in São Paulo, der größten und industrialisiertesten Stadt Brasiliens, Wolken mit Rauch ankamen und schwarzer Regen fiel, sind die Waldbrände im Bewusstsein der Brasilianer angekommen. Sogar führende Vertreter des Agrobusiness, das maßgeblich in der Unterstützung Bolsonaros und für nahezu ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Brasiliens verantwortlich ist, warnen inzwischen vor den Folgen von zunehmender Abholzung und Brandrodung – wenn auch nicht, weil sie sich um das Amazonas-Gebiet sorgen. Vielmehr fürchten sie um ihr Geschäft, falls die EU brasilianische Produkte nicht mehr importieren, vielleicht gar das Freihandelsabkommen mit Mercosur nicht ratifizieren sollte. „Wir zahlen einen sehr hohen Preis“, sagte der Sojabaron und Ex-Agrarminister Blairo Maggi jüngst.

Marcello Brito, Präsident des brasilianischen Verbands der Agrarindustrie, stellte fest: „Teile des Agrarbusiness, die wissen, dass das Probleme für den Marktzugang und für Produktpreise schaffen wird, beginnen, sich zu mobilisieren.“ Es ist ein überaus ungewöhnliches, ungleiches Bündnis zwischen Agrounternehmern und Umweltschützern, das sich nun formiert. Auch das wird Umweltminister Salles vermutlich nicht gefallen.