Der Ex-CEO von Fiat Chrysler, Sergio Marchionne, liegt in kritischem Zustand in einer Zürcher Klinik. Der 66-jährige Topmanager wurde in die Schweiz geflogen, nachdem es zu schweren Komplikationen infolge eines chirurgischen Eingriffs gekommen war.

Italienische Medien hatten in den vergangenen Tagen berichtet, dass sich Marchionne Ende Juni einer Schulteroperation unterzogen hatte. Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt am 26. Juni in Italien, als er den Carabinieri ein Modell des von seiner Gruppe Fiat Chrysler produzierten Jeeps Wrangler überreicht hatte, war Marchionne müde und mitgenommen erschienen. Medien spekulierten, dass er wegen eines Lungentumors operiert worden sei. Danach seien Komplikationen aufgetreten. Marchionne sei bereits im Koma nach Zürich geflogen worden.

Manley folgt Marchionne

Der Gesundheitszustand Marchionnes habe sich "nach Komplikationen in den vergangenen Stunden signifikant verschlechtert", teilte FCA am Samstag mit. "Als Folge kann Herr Marchionne seine Arbeit nicht wieder aufnehmen", hieß es weiter. Man befinde sich in einer Lage, die noch vor wenigen Stunden undenkbar erschienen sei, erklärte FCA-Verwaltungsratspräsident John Elkann.

Der Italo-Kanadier Marchionne hätte eigentlich erst im April kommenden Jahres das Zepter an einen internen Nachfolger übergeben sollen. Wegen seines kritischen Zustands ernannte der FCA-Aufsichtsrat den Briten Mike Manley zu Marchionnes Nachfolger. Marchionne saß bei Fiat seit 2004 am Steuer. Ihm wird zugeschrieben, Fiat und Chrysler vor der Pleite gerettet zu haben.

Ein Scherbenhaufen

Als im Juni 2004 der damals 51-jährige Marchionne sein Büro in Turin bezog, kannte ihn kaum jemand. Beim Zertifizierungs-Weltmarktführer SGS war er Chef, bevor er zu Fiat gerufen wurde. In Turin fand der Sohn eines Carabiniere aus der bergigen Abruzzen-Region, der mit 14 Jahren nach Kanada ausgewandert war, eine katastrophale Lage vor. Seit wenigen Tagen war der Verwaltungsratschef und letzte Patriarch der Dynastie der Fiat-Eigentümer Agnelli, Umberto Agnelli, gestorben. CEO Giuseppe Morchio, der anstelle des Verstorbenen zum neuen Fiat-Verwaltungsratschef aufrücken wollte, war aus Protest zurückgetreten, weil ihm die Agnelli-Erben den Karrieresprung verweigert hatten. Zwei Millionen Euro pro Tag verlor der Konzern, der an den Rande des Abgrunds geraten war. Marchionne stand vor einem Scherbenhaufen.

Mit hartem Sparkurs und neuen Automodellen gab Marchionne dem Bankrott-Kandidaten seinen Stolz als italienische Traditionsfirma wieder zurück. Für den Mann mit dem runden Gesicht und der Brille, der gerne unkonventionell auftrat, aber intern mit harter Hand und kompromisslosem Verhalten regierte, war dies nur der erste Schritt. Nach einem Streit mit dem Wiener Manager Herbert Demel übernahm Marchionne 2005 persönlich die Führung der Fiat-Autosparte.

Manager im Wollpullover

Schon wenige Monate nach seiner Ankunft in Turin verkündete Marchionne seine Visionen: Künftig werde es nur noch fünf oder sechs große Autobauer auf der Welt geben. Seine Überlebensstrategie für den kriselnden Autobauer hat der selbstbewusste Manager, der auch vor einem hochkarätigen Auditorium im Wollpullover auftritt, in diesen Jahren knallhart umgesetzt. Dabei scheute er sich nicht vor unpopulären Beschlüssen, um Fiat zu sanieren, interne Bürokratie abzubauen und die Entwicklungszeiten für neue Modelle drastisch zu reduzieren. Er richtete das über 100 Jahre alte Unternehmen neu aus und führte es zurück in die schwarzen Zahlen. Vor allem die Kooperation mit dem US-Konzern Chrysler, den Fiat 2014 komplett übernommen hat, erwies sich als der erfolgreichste Drahtseilakt in Marchionnes spektakulärer Karriere.

Der Vater zweier Töchter hat viel Lob geerntet, zugleich auch viele Feinde gehabt. Sein überdurchschnittlicher Ehrgeiz, der zwar anregend, aber zuweilen auch fordernd und aggressiv wirkte, brachte ihm vor allem Probleme mit dem linken Gewerkschaftsverband FIOM ein, der in Italiens Fiat-Produktionswerken das Sagen hat. Auch bei den Arbeitnehmern war Marchionne wegen seiner Vorgehensweise, die die Rolle der Gewerkschaften wenig berücksichtigt, nicht besonders populär. Die italienische Belegschaft befürchtete vor allem, dass nach der Chrysler-Übernahme fünf italienische Standorte schrittweise abgebaut und ins Ausland verlegt werden könnten. Scharfe Kritik zog sich Marchionne auch mit dem Beschluss zu, den Firmensitz von Turin nach London zu verlegen. 2014 entthronte er den langjährigen Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo, der in der Formel 1 keine Erfolge mehr erntete, und übernahm selber das Ruder des Luxusauto-Konzerns. Ferrari wurde 2015 von FCA ausgliedert und 2016 mit Erfolg an die Mailänder Börse gebracht.

Ehrgeiziges Programm

Sergio Chiamparino, Präsident der Region Piemont und ehemaliger Turiner Bürgermeister, lobte Marchionne wegen seines Sanierungstalents. "Marchionne hat nicht nur den Weg gefunden, Fiat zu retten, sondern auch, daraus einen Weltkonzern zu machen. Er hat gleichzeitig eine Strategie entwickelt, um die Arbeitskräfte flexibler einzusetzen und dem globalen Wettbewerb effizienter standzuhalten", so Chiamparino.

Marchionne hinterlässt seinem Nachfolger ein solides Unternehmen. Italiens bestbezahlter Manager hatte erst im Juni den Entwicklungsplan von FCA bis 2022 vorgestellt, das Investitionen in Höhe von 45 Milliarden Euro vorsieht. Gerechnet wird mit einem jährlichen Umsatzwachstum von durchschnittlich 7 Prozent. Die Umsätze der Marken Jeep, Alfa Romeo, Maserati und Fiat Professional sollen zwischen 65 Prozent und 80 Prozent wachsen. FCA will 9 Milliarden Euro investieren, um seine Modelle auch in der elektrischen Version anzubieten. Bis Ende 2021 will FCA keine Dieselautos mehr herstellen. FCA ist seit Ende Juni schuldenfrei.

Der Automobilkonzern startet demnächst startet mit der Umsetzung des Plans für die Abspaltung des Zuliefergeschäfts Magneti Marelli. Vorgesehen ist die Ausgliederung der Gesellschaft und deren Börsengang. Die Auslagerung der Tochter, die bis Anfang 2019 abgeschlossen werden soll, wird Magneti weiteres Wachstum bescheren.