Freunde nur mit Abstand und Maske sehen, Distanzunterricht, versäumter Stoff und eine ungewisse Zukunft: Die Jungen trifft die Pandemie zweifellos mit voller Wucht. Aber wie geht es jenen, die schon vorher sozial benachteiligt waren? Macht Corona die Kinder und Jugendlichen noch "ungleicher"? Das will die PH Steiermark in Kooperation mit der FH Joanneum herausfinden.

Seit Oktober erforscht ein vierköpfiges Team im Rahmen des Projekts "Schule nach Corona", welche Auswirkungen die Krise auf Ungleichheiten im steirischen Bildungssystem hat. "Im Frühling haben Studien gezeigt, dass es einen Schereneffekt gibt. Wir wollen noch genauer hinschauen", erklärt Karina Fernandez. Die Hochschulprofessorin für Bildungssoziologie ist Teil des Projektteams.

Schulpsychologen, Sozialarbeiter und Co. erzählen

Zunächst wurden 25 Interviews mit Schulpsychologen, Sozialarbeitern, Schulärzten, Freizeitpädagogen und weiteren Mitarbeitern des schulischen Unterstützungssystems der Steiermark durchgeführt. "Wir haben uns schulische Akteure ausgesucht, die sonst nicht so sehr im Rampenlicht stehen", erklärt Fernandez, die schon ihre Masterarbeit und Dissertation zum Thema Ungleichheit verfasste.

Karina Fernandez forscht mit ihrem Team seit Herbst am Projekt
Karina Fernandez forscht mit ihrem Team seit Herbst am Projekt © PH Steiermark

Die Interviewten berichten, dass viele Schüler derzeit unter psychischen Problemen leiden. Die Anspannung und der reduzierte Kontakt mit Gleichaltrigen rufen Stress, Angst, Schlafstörungen und Einsamkeitsgefühle hervor. Stark betroffen sind jene, die vorher schon psychisch belastet waren.

Ausschlaggebend ist unter anderem die Situation zu Hause: Gibt es dort einen Computer und eine stabile Internetverbindung? Kann in Ruhe gelernt werden oder leben viele Menschen auf engem Raum? Eine Befragte erzählt von Jugendlichen, die "tagsüber geschlafen haben und dann in der Nacht auf waren", weil sie nur dann ihre Ruhe und den Platz hatten, um die Aufgaben zu erledigen. Nicht nur, wie viel Geld eine Familie hat, bestimmt darüber, wie gut dem Distanzunterricht gefolgt werden kann. Auch kommt es darauf an, ob die Eltern selbst bildungsnahsind, den Stoff verstehen und unterstützen können. In den Interviews ist die Rede von "großen Wissenslücken" und von "Rückschritten", auch bei jenen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist.

Pandemie als "Brennglas"

Das erste Fazit der Studienautoren: Die soziale Schere geht noch weiter auseinander. Kinder aus einkommensschwachen Familien werden noch mehr benachteiligt als vor Corona. "Ungleichheit im Bildungssystem ist nichts Neues, das diskutieren wir seit Jahrzehnten", so Fernandez.

Vielmehr – so beschreibt es ein Interviewter – wirkt die Krise wie ein "Brennglas", das bestehende Probleme verstärkt und sichtbar macht. Die Pandemie könne so auch eine Chance bieten: Noch nie war der Blick so geschärft. Noch nie wurde so viel über die Schwächen im System berichtet. Um diese zu mindern, seien Unterstützungssysteme, Förderkurse und mehr Ressourcen notwendig, so Fernandez.

Politik nun gefragt

Die Studie zeigt aber nicht nur Negatives. Viele gewöhnen sich an die Situation, seit dem ersten Lockdown läuft vieles besser. Und die Schüler hätten viel gelernt, was das selbstständige Arbeiten und die Selbstorganisation anbelangt, betont Fernandez. Dennoch sei nun die Politik gefragt, damit die Bildungskluft nicht noch größer wird und sich die Probleme nicht noch mehr zuspitzen.

Das Projekt an der PH Steiermark soll bis Herbst laufen. Gerade werden Lehrer, Schüler und Eltern befragt. Am Ende soll dann ein umfassendes Resümee über eineinhalb Jahre Pandemie und Ungleichheit im Schulsystem gezogen werden.