Internationale Pressestimmen befassen sich am Donnerstag mit den Ermittlungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein engstes Umfeld wegen mutmaßlicher Inseratenkorruption.

"The Guardian" (London):

"Die jüngsten Anschuldigungen könnten eine frische Belastung für die Koalition der ÖVP mit den Grünen darstellen, die schon wegen eines früheren Skandals unter Druck gekommen war. Die Ibiza-Affäre (...) hatte zum spektakulären Zusammenbruch von Kurz' früherer Koalition mit der Rechtsaußenpartei FPÖ geführt. (...) Für den Moment sind Grüne Politiker aber vorsichtig geblieben, was die jüngsten Vorwürfe betrifft, die just kommen, nachdem die Regierung eine CO2-Steuer als Teil ihrer 'öko-sozialen' Steuerreform präsentiert hat."

"The Financial Times" (London):

"Bei der Untersuchung geht es im Kern darum, ob gefälschte Rechnungen im Finanzministerium ausgestellt wurden, um 1,2 Millionen Euro an Regierungsförderung an Pro-Kurz-Medien zu leiten, als Kurz 2016 und 2017 Außenminister war. In jener Zeit positionierte sich Kurz, um die Führung der ÖVP zu übernehmen. (...) Analysten sagen, die Ermittlungen würden wahrscheinlich die Probleme für die Koalitionsregierung aus Volkspartei und Grünen vertiefen. (...) Separat gegen Kurz laufende Ermittlungen wegen Falschaussage vor einem offiziellen Untersuchungsausschuss des Parlaments sind seit diesem Jahr ein Knackpunkt im koalitionsinternen Verhältnis. Die neue Untersuchung der WKStA ist aber bei weitem schwerwiegender."

"Politico" (Brüssel):

"Die Razzien und Anschuldigungen kommen zu einer bestehenden Zahl an Skandalen, die Kurz und seine engsten Verbündeten als übertrieben und sie gar nicht betreffend von sich gewiesen haben - darunter Ermittlungen wegen Bestechlichkeit in der ÖVP und die berüchtigte Ibiza-Affäre."

"Le Figaro" (Paris):

"Sebastian Kurz ist bereits Gegenstand von Ermittlungen wegen mutmaßlicher Falschaussage vor einem Parlamentsausschuss zu Korruption, bis dato ist er aber nicht angeklagt. (...) Diese neue Affäre könnte die Koalition der Konservativen mit den Grünen schwer beeinträchtigen, während sich die Scherereien der an der Macht befindlichen Rechten (ÖVP, Anm.) mit der Justiz vervielfältigen."

"L'Express" (Paris):

"Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz hat neuen Ärger mit der Justiz. Auf Skandale in Österreich abonniert, steht er nun im Visier von Korruptionsermittlungen. Laut der Staatsanwaltschaft wurden lobhudelnde Artikel und ihm günstige Meinungsumfragen im Gegenzug für Inseraten-Aufträge des schon damals ÖVP-geführten Finanzministeriums veröffentlicht."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Als es nur um den Vorwurf der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss im Parlament ging, gab sich Österreichs Kanzler Sebastian Kurz cool: Das werde sich im Sande verlaufen; bei einer Anklage bleibe er im Amt. Ob das ethisch und politisch richtig gewesen wäre - diese Frage dürfte seit Mittwoch sein kleinstes Problem sein. Sollten sich die jüngsten und hammerharten Vorwürfe der Korruptionsstaatsanwaltschaft, die ohnehin schon zahlreiche Verfahren gegen Politiker aus Kurz' Regierungspartei ÖVP führt, bewahrheiten, ginge es - juristisch - um Beihilfe zur Untreue und Bestechlichkeit. Und ethisch ginge es um die Manipulation der öffentlichen Meinung und damit der demokratischen Willensbildung. (...)

Mit öffentlichen Inseraten quasi gekaufte Medien - das hat in Österreich schon lange System; aber weil alle Regierungen davon profitierten, wurde es nie reformiert. Kanzler Kurz hat so viel Geld über wohlmeinende Medien ausgeschüttet wie vor ihm keiner; er kauft sich seine Popularität damit wohl auch zum Teil. Nun deutet sich an, dass er mit dieser Methode womöglich sogar ins Kanzleramt gekommen sein könnte. Die Wochenzeitung 'Falter' spricht von 'Korruption in großem Stil' - und bezieht sich auf den konkreten Verdacht der Staatsanwälte. Aber Korruption in großem Stil ist auch die Medienförderung in Österreich, die Boulevardzeitungen mit Geld überschüttet und Qualitätsmedien mit Brosamen abspeist. Zunächst werden das Schicksal von Sebastian Kurz und das mögliche Scheitern seiner Regierung die Schlagzeilen bestimmen; gut vorstellbar, dass es Neuwahlen gibt. Aber danach muss die Inseratenkorruption abgestellt werden. Sie ist nichts anderes als bezahlte Propaganda."

"Handelsblatt" (Düsseldorf):

"Gerüchte, dass sich über Österreichs Regierungspartei ÖVP und Bundeskanzler Sebastian Kurz ein neuerliches Gewitter zusammenbraut, gab es seit September. Am Mittwochmorgen war es so weit: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) durchsuchte die Wiener Parteizentrale der ÖVP und das Kanzleramt. Die Geschichte ist verworren, wirft aber ein Schlaglicht auf Österreichs politische Kultur und das 'System Kurz'. (...) Die Nachricht hat das ohnehin schwer angeschlagene politische System Österreichs erneut erschüttert."

"Die Welt" (Berlin):

"Der zunehmend eskalierende Konflikt zwischen dem österreichischen Kanzler und der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA) ist mit den Razzien vom Mittwoch jedenfalls kein Kleinkrieg mehr. Vor allem aber wurde mit diesen Hausdurchsuchungen ein ganz neues Kapitel in den Korruptionsermittlungen gegen Kurz und sein Umfeld aufgeschlagen: Der Vorwurf lautet diesmal Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue."

"La Stampa" (Turin):

"Österreich ist mit einer Art von 'House of Cards' aus dem Jahr 2016 konfrontiert, als Kurz noch ein junger Außenminister mit vielen Hoffnungen war, der die ÖVP verjüngen wollte. Die ÖVP attackiert die Justiz und versetzt damit die Grünen Koalitionspartner in Verlegenheit. Kurz leistet Widerstand, doch in Wien könnte sich eine politische Krise anbahnen, die zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren eine Regierung Kurz erschüttern würde."

"La Repubblica" (Rom):

"Die Ermittlungen um Ibiza-Gate erreichen jetzt auch Bundeskanzler Kurz. Die beschlagnahmten Smartphones sind zu einer Goldgrube geworden. Sie haben zur Enthüllung eines Systems aus Gefälligkeiten, Komplotten und Vergeltungsaktionen rund um den jüngsten europäischen Premier beigetragen, wie es nicht einmal in Musils Kakanien hätte vorkommen können."

"Il Manifesto" (Rom):

"Politisches Erbeben in Österreich: Die Schlinge um Kurz, gegen den schon seit Monaten ermittelt wird, wird immer enger. Er ist jetzt nicht nur mit dem Verdacht der Falschaussage in Zusammenhang mit der Ibiza-Affäre konfrontiert. Er wird jetzt auch der Korruption in großem Stil beschuldigt, wie tausende Chats und die öffentlichen Gelder bezeugen, die zur Finanzierung gefälschter Umfragen dienten."

"Corriere della Sera" (Mailand):

"Die Ermittlungen gegen Kurz sind ein schwerer Schlag für den Kanzler, gegen den bereits eine Untersuchung wegen Falschaussage in der sogenannten Ibiza-Affäre läuft. Österreichs Politik ist in Aufruhr, die ÖVP weist die Vorwürfe zurück. Der verheerende Pakt mit dem Verleger Fellner soll den politischen Aufstieg Kurz' gefördert haben."

"Il Messaggero" (Rom):

"Der neue Skandal sorgt für weitere Turbulenzen in den ohnehin bereits gespannten Beziehungen in der Koalition aus ÖVP und Grünen, die nach dem Sturz der ersten Regierung Kurz entstanden war. Der Schlag für das politische Phänomen Kurz, Star der europäischen Konservativen, ist hart und trifft den Kanzler während seines Slowenien-Besuchs."