Ganz nach Plan hat sich die Aufregung in der ÖVP wieder gelegt. Wenn Sebastian Kurz sich am Samstagnachmittag in St. Pölten zum ersten Mal der Wiederwahl als Parteichef stellt, kann er – daran zweifelt inner- und außerhalb der Partei kaum jemand – mit einer Mehrheit über 90 Prozent rechnen, wohl nicht weit von den 98,7 Prozent, die ihm die Delegierten 2017 gegeben hatten.

So klar schien das noch vor einigen Wochen nicht: Vor dem Sommer hatte Kurz die zweite schwere Krise seiner Kanzlerschaft durchlebt (die erste war die Abwahl durch den Nationalrat im Mai 2019, nachdem er die Koalition mit der FPÖ aufgekündigt hatte): Die Erkenntnis, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ihn als Beschuldigten wegen Falschaussage im Untersuchungsausschuss führt, kam gleichzeitig mit Umfrageeinbrüchen nach Corona-Maßnahmen – die Partei, deren professionelle Kommunikation lange gefeiert worden war, kam merklich außer Tritt und verstieg sich in einen öffentlichen Kleinkrieg mit der Justiz.

Der Sommer kam, der U-Ausschuss – ein steter Stachel im Fleisch der Volkspartei – ging vorläufig zu Ende und, so zynisch das klingt, die Tragödie in Afghanistan erlaubt der ÖVP nun wieder, ihr Leibthema Migration (bzw. den Kampf dagegen) auf die Agenda zu setzen.

Der Parteitag der ÖVP, live ab 13 Uhr:

Aber wie gut abgesichert ist der Erfolg von Kurz? „Der Nimbus des Unbesiegbaren ist weg“, attestiert Politikberater Thomas Hofer im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Im Vergleich zu 2017, als Kurz seinen Vorgänger Reinhold Mitterlehner demontiert und die Partei übernommen hatte, sei das Image vom Hoffnungsträger nach einigen Krisen angekratzt – das türkis-blaue Experiment sei gescheitert, die Koalition mit den Grünen fordere weit schmerzhaftere Kompromisse von der Volkspartei.

Wählermaximierung vor Ideologie

In den eigenen Reihen regt sich seither immer wieder Kritik – „vor dem Parteitag sind alle wieder auf Linie, aber der Wirtschaftsflügel ist unzufrieden“, sagt Hofer: Von großen Strukturreformen – etwa bei den Pensionen –, wie Kurz sie früher selbst auf dem Programm hatte, sei nichts mehr zu sehen. Eine Folge davon, dass strategisch Ideologie der Wählermaximierung untergeordnet sei: „Wenn ein Programmpunkt wie eine Pensionsreform diskutiert wird und Umfragen zeigen, das würde uns vier Prozent kosten, dann wird das verworfen.“

Palastrevolte sei aber trotzdem keine zu erwarten, sagt Hofer: Erstens sichere sein Erfolg bei Wahlen Kurz bis auf Weiteres ab; zweitens habe Kurz sich seine innerparteiliche Macht vor vier Jahren gut abgesichert – etwa durch ein Durchgriffsrecht auf die Landeslisten; und drittens gebe es aktuell schlicht niemanden, der den Kanzler ersetzen könnte.

Besteht also Gefahr, dass die Partei hinter der starken Figur Kurz’ verwittert? Die FPÖ, lange Jahre im Bannes Jörg Haiders, kann ein Lied davon singen.

Strukturen hinter Kurz intakt

Hofer sieht diese Gefahr nicht: Die ÖVP mit ihren starken Länderorganisationen habe sich Kurz – türkise Einfärbung hin oder her – nie vollständig ausgeliefert. „Kurz hat es verstanden, die bestehenden Strukturen zu nutzen, sie aber nicht zu demontieren“, wie das in anderen Parteien – etwa auch in der SPÖ unter Faymann – geschehen sei. „Die alte ÖVP mit ihren Ländern und Bünden ist immer noch da – und kann jederzeit wieder in den Vordergrund treten.“

Ändern wird der Parteitag wenig: Als einzige personelle Veränderung steht Noch-Casinos-Generaldirektorin Bettina Glatz-Kremsner nicht mehr als stv. Parteichefin zur Verfügung.