Frau Bundesminister, mehrere schutzberechtigte Afghanen sind verdächtig, einen grauenvollen Mord begangen zu haben. Ist da strukturell etwas schiefgelaufen?
KAROLINE EDTSTADLER: Wir müssen diesen bestialischen Mord zum Anlass nehmen, uns genau diese Frage zu stellen. Zum einen konkret: was ist passiert, wo gab es Verzögerungen. Aber wir müssen uns auch überlegen, wie gehen wir mit Menschen um, die zu uns kommen, von uns Schutz und Unterstützung erwarten, aber gegen das Strafgesetzbuch verstoßen.

Wir hören seit Jahren, wer straffällig wird, soll keinen Schutz bekommen. Einer der Verdächtigen drei Mal von einem Strafgericht verurteilt worden. Wie kann das sein, dass er noch im Land ist.
Es kann und darf auch nicht sein. Das Bundesamt für Fremden- und Asylwesen hat dem Verdächtigen – es gilt die Unschuldsvermutung, das ist mir als ehemalige Richterin wichtig – den subsidiären Schutz aberkannt, aber er hat eine Beschwerde dagegen eingelegt und das Bundesverwaltungsgericht hat noch nicht darüber entschieden. Das müsste eigentlich innerhalb von drei Monaten passieren - da ist die Justizministerin gefragt, hier die Dienstaufsicht walten zu lassen.

Das Bundesverwaltungsgericht ist schon länger ein Flaschenhals, weil dort ein Haufen Berufungen ab 2015 angekommener Migranten liegt. Hätte es da nicht längst mehr Ressourcen gebraucht?
Ich halte es für verkürzt, als erstes nach Personal und Geld zu rufen. Es ist Aufgabe der Justizverwaltung, mit den vorhandenen Ressourcen ein System aufzustellen, das es ermöglicht, gesetzeskonform zu handeln. Da braucht es dann entweder vorher schon den Ruf, dass es hier notwendig ist, etwas zu tun oder entsprechende Priorisierungen auch in der Fallbearbeitung durchzuführen, gerade, wenn jemand rechtskräftig verurteilt worden ist.

Sie wollen diesen Fall zum Anlass nehmen, das EU-weite Asylrecht zu überholen. Was würde sich für Österreich ändern, wenn das so kommt, wie Sie sich das vorstellen?
In einer idealen Welt mit einem lückenlosen europäischen Asylsystem kommen Asylwerber, die keine Chance auf Asyl haben, gar nicht bis Mitteleuropa, sondern werden an der Außengrenze versorgt. In  einem raschen Verfahren wird beurteilt, wer wahrscheinlich Schutz bekommen wird und bei wem ein positiver Asylbescheid sehr unwahrscheinlich ist und damit zurückschickt wird.. Die Botschaft, die dann nach draußen dringt - versucht nicht nach Europa zu kommen, wenn keine Aussicht auf Schutzgewährung besteht – würde auch das Sterben im Mittelmeer verhindern und Schleppern das Geschäftsmodell entziehen.

Hat das dann nicht zur Folge, dass solche Lager wie auf den Griechischen Inseln entstehen, wo die Leute elend dahinvegetieren, wenn die Wege nach Mitteleuropa geschlossen werden?
Die Botschaft nach draußen, dass es keinen Sinn macht, hierher zu kommen, wenn man keine Aussicht auf Asyl hat, würde dazu führen, dass weniger Menschen herkommen und sich auch weniger in Lagern auf Inseln oder sonst wo befinden.

Wie wollen Sie die Staaten mit Außengrenzen davon überzeugen, unserem System zuzustimmen, dass dann zur Folge hat, dass in Mitteleuropa fast niemand mehr ankommt?
Indem man entsprechende Unterstützung durch Solidarität in Manpower und finanzieller Unterstützung gewährt, aber gleichzeitig einfordert, dass die Verfahren effizient geführt werden. Mir ist bewusst, dass es ein steiniger Weg bis dorthin ist und dass wir jetzt Überzeugungsarbeit leisten müssen, dass wir das Thema hoch auf die Agenda bringen.

Sie waren selbst Richterin, haben im Justizministerium mehrere Jahre mit Christian Pilnacek und Minister Brandstetter gearbeitet. Wie haben Sie die Veröffentlichung der Chat-Protokolle erlebt, die in den letzten Monaten aufgetreten sind?
Einige Chat-Protokolle sind verwerflich, da gibt es nichts zu beschönigen. Da haben die betroffenen Personen auch die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Wir sollten uns aber auch damit beschäftigen, wie diese Chats in die Öffentlichkeit gelangt sind. Die Justiz braucht niemanden, der etwas in die Öffentlichkeit spielt. Ich finde, wir sollten die Diskussion zweiteilen und uns überlegen, was es mit einem Untersuchungsausschuss macht, der ein wichtiges Kontrollinstrumentarium darstellt, wenn es manche gibt, die glauben, sich über die Geheimhaltung hinwegsetzen zu können.

Sie sagen, es ist richtig, dass einige Konsequenzen gezogen haben - das wäre ja nicht passiert, wenn die Chats nicht öffentlich geworden wären.
Wir sehen hier ein Spannungsverhältnis zwischen Privatsphäre, Datenschutz und scheinbarem öffentlichem Interesse. Es kann nicht sein, dass man ein Handy nur durch staatsanwaltschaftliche Anordnung sicherstellt, ohne dass ein Richter darüber entscheidet. Wenn ich Sie heute am Telefon abhören möchte, brauche ich einen richterlichen Beschluss. Wenn ich das Handy sicherstelle, reicht die Anordnung.

Was soll sich daran ändern?
Es braucht in der Strafprozessordnung neue Regeln zur Sicherstellung. Die Sicherstellung war in der StPO vorgesehen für die Beschlagnahmung von Gegenständen: die Mordwaffe, das Messer, die Pistole und so weiter. Da haben Sie vielleicht ein paar Fingerabdrücke oder Blut drauf, aber nicht mehr. Das andere ist eine Diskussion über den Datenschutz. Bisher war der Tenor in dieser Frage, dass man keine überbordende Verwertung personenbezogener Daten will. Jetzt schlägt das Pendel in die andere Richtung aus und  manche sind der Meinung, dass man von Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, eh alles veröffentlichen darf und nichts  mehr privat ist.

Die Dinge, die da veröffentlicht worden sind, waren aber nicht privat – das waren ja keine Kinderfotos oder so, es ging um die staatliche Verwaltung.
Es waren Nachrichten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Jeder Mensch braucht irgendwann einmal ein Ventil und wahrscheinlich haben auch manche daraus gelernt, das nicht mehr schriftlich zu machen.

Haben Sie Ihre Kommunikation seither geändert?
Ich sehe keine Notwendigkeit, meine Kommunikation zu ändern. Fakt ist, dass auch ich sehr viel schriftlich kommuniziere. Aber mein Gewissen ist rein, wenn Sie das wissen wollen.

Unterschreiben Sie das Antikorruptions-Volksbegehren?
Nein. Ich bin Teil der Exekutive. Als Ministerin fühle ich mich von Volksbegehren natürlich angesprochen, aber nicht in erster Linie als jemand, der sie unterschreibt, sondern der die Anliegen im parlamentarischen Prozess zu behandeln hat.

Gibt es Punkte darin, die Sie übernehmen wollen?
Ich unterschreibe voll und ganz, dass man Korruptionsbekämpfung stärken muss. Selbstverständlich sind da Punkte, die den Nagel auf den Kopf treffen.

Einer der Vorschläge ist die verfassungsrechtliche Absicherung der WKSTA. Halten Sie davon etwas?
Keine Institution in Österreich, kein Gericht, keine Staatsanwaltschaft muss sich Sorgen um ihre verfassungsrechtliche Absicherung machen.

Was wurde aus dem Informationsfreiheitspaket, das Sie mitverhandelt haben? Das ist in Begutachtung gewesen und seither hat man nicht mehr viel davon gehört.
Im Begutachtungsverfahren sind rund 200 Stellungnahmen eingelangt. Es ist einerseits ein sehr umfassendes Vorhaben und andererseits sind auch entsprechende Sorgen und Ängste im Bereich der kleineren Gemeinden und Städte spürbar. Diese sollte man ernstnehmen und sich die entsprechende Zeit nehmen, um sich das im Detail anzuschauen.

Wie lange wird das dauern?
Ich habe aus früheren Ankündigungen, die nicht gehalten haben, gelernt und werde daher keinen konkreten Zeitpunkt nennen.

Einen konkreten Zeitpunkt gibt es bei einem anderen Thema: Bis Ende des Jahres braucht es nach einem VfGH-Entscheid eine Neuregelung der Sterbehilfe.
Mit 1.1. tritt das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord außer Kraft und wenn es keine Nachfolgeregelung gibt, dann ist hier keine Grenze gesetzt. Das will keiner. Es muss hier eine entsprechende Einschränkung geben, damit dieses Tor nicht zu weit offensteht.

Gibt es seitens der ÖVP Vorstellungen, wie diese Regeln ausschauen sollen?
Ich habe sehr konkrete Vorstellungen dazu, wie das aussehen könnte, aber es ist die legistische Aufgabe des Justizministeriums, das auf den Weg zu bringen. Meine Vorstellungen habe ich auch in den internen Gesprächen klargemacht; jetzt ist Alma Zadic am Zug, den entsprechenden Entwurf vorzulegen.

Wir stehen kurz vor der politischen Sommerpause. Wie lange hält die türkis-grüne Koalition noch?
Bis zum regulären Ende der Legislaturperiode auf alle Fälle. Es liegt eine extrem schwierige Zeit hinter uns. Ich glaube, es hat überhaupt niemand für etwas anderes Verständnis, als für eine Regierung, die arbeitet und die sich auch in schwierigen Fragen zusammenrauft. Das ist das Wesen einer Koalition und persönlich bin ich im guten Einvernehmen mit meinen Regierungskolleginnen.