Die SPÖ fordert seit Wochen eine Anhebung des Arbeitslosengeldes, nun scheint sich die Regierung zu bewegen. Rechnen Sie mit einer baldigen Anhebung?

Jörg Leichtfried: Der Druck der SPÖ scheint gewirkt zu haben. Und es zeigt sich einmal mehr, dass die Regierung, die mit ihren geschätzt 100 Pressekonferenzen Ankündigungsmeister ist, bei der Umsetzung irrsinnig schwach ist. Denn die beschlossenen Hilfen kommen einfach nicht an. Und jene, die ohnehin keine Großverdiener waren und durch Corona unverschuldet arbeitslos geworden sind, kommen mit dem Geld nicht aus. Weil es in diesen Bereichen nun große Unzufriedenheit gibt, versucht die Regierung, etwas davon wieder gut zu machen. Und es wäre höchst an der Zeit, das beim Arbeitslosengeld zu tun.

Sie fordern eine Aufstockung auf 70 Prozent. Soll das nur für die Zeit der Krise gelten, oder gleich beibehalten werden?

Jörg Leichtfried: Es könnte schon Sinn machen, das beizubehalten. Jetzt wäre es aber erst einmal wichtig, die Aufstockung für die Zeit der Krise zu gewährleisten. 70 Prozent ist dabei ein guter Wert, der auch im EU-Vergleich gut passt.

Aber in vielen Ländern mit 70 Prozent Nettoersatzrate sinkt die Unterstützung, je länger die Hilfe bezogen wird. Ist das auch für Sie denkbar?

Jörg Leichtfried: Ich bin der Meinung, dass unser stabiles System für beide Seiten das bessere ist. Es gibt mehr Sicherheit. Ich würde nicht gleich das gesamte System ändern wollen.

Neben einer Erhöhung denkt die ÖVP offenbar auch über andere Optionen nach - eine Einmalzahlung, eine befristete Aktion oder ein Kombi-Modell mit der Mindestsicherung. Sagt Ihnen eine dieser Varianten zu?

Jörg Leichtfried: Ich misstraue den ÖVP-Vorschlägen grundsätzlich, weil die Interessen der arbeitenden Menschen nicht im Zentrum ihrer Überlegungen stehen. Da hat man eher Wahlkampfsponsoren im Sinn. Also: Aufstocken auf 70 Prozent und nicht herumdoktern.

Mit wie vielen Arbeitslosen rechnen Sie nach Ende der Kurzarbeit?

Jörg Leichtfried: Das hängt davon ab, was man jetzt tut. Es bräuchte das größte Investitionspaket der Zweiten Republik und die Hilfen müssten jetzt ankommen. Wenn das gelingt, können wir das überstehen. Wenn nicht, wird es schlimm werden.

Sie und ihre Oppositionskollegen üben immer wieder scharfe Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung. Schimpft es sich schlicht leichter vom Beckenrand?

Jörg Leichtfried: Natürlich muss sich die Opposition hier zu Wort melden. Man muss einfach aufzeigen, dass die Regierung Fehler gemacht hat und diese vertuschen will. Denn sie wollen einfach nicht zugeben, dass ihre großspurigen Ankündigungen substanzlos sind. Und ein Blick nach Deutschland oder in die Schweiz zeigt ja, dass es dort schneller geht – und die Hilfen ankommen. Und die sind auch nicht bekannt dafür, mit Steuergeld um sich zu werfen.

SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried
SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried © APA/ROBERT JAEGER

Fehler sieht die ÖVP auch in Tirol nicht, Landeshauptmann Platter bezeichnet das Ischgl-Krisenmanagement als „Erfolgsgeschichte“ und sieht auch keine notwendigen Folgen für den „Luder“-Sager seines Stellvertreters Geisler. Zu Recht?

Jörg Leichtfried: Der einzig mögliche Schritt nach diesem „Luder“-Sager ist meiner Ansicht nach ein Rücktritt. So kann sich keine bessere politische Kultur in diesem Land entwickeln. Aber man sieht hier vielleicht auch einen Männer-Frauen-Unterschied. Frau Lunacek ist zurückgetreten – aber was ist mit Herrn Blümel? Ein Finanzminister, der dem Parlament ein Altpapier-Budget vorlegt, wäre an sich schon als inkompetent anzusehen. Aber einer, der auf Druck der Opposition die neue Version auch noch verhaut und Tausender statt Milliarden ins Budget schreibt? Da frage ich mich schon: Wer ist hier rücktrittsreif? Sein Vorgehen ist inkompetent, gepaart mit einer Arroganz, die nicht dazu passt. Alles in allem eine Missachtung des Parlaments. Das sieht man ja auch bei der Klausur.

Sie sprechen die Klausur der Bundesregierung an, die kommende Woche stattfinden soll. Was stört Sie daran?

Jörg Leichtfried: Dass sie die Klausur „interlligenterweise“ genau auf Tage legen, an denen der Nationalrat tagt. Da wird dann der eine oder andere Minister wohl nicht an der Klausur teilnehmen, wenn er keinen Herbeischaffungsantrag riskieren will.

Sie fordern inzwischen Gutscheine fürs Öffi-Fahren, 100 Euro pro Person soll es dafür geben. In Wien werden solche für Wirte verteilt. Verteilt die SPÖ jetzt Gutscheine nach Haider-Vorbild?

Jörg Leichtfried: Der Öffi-Gutschein hat ja nicht nur wirtschaftlich, sondern auch verkehrs- und klimapolitisch Sinn. Denn er bewirkt, dass Fahrten, die sonst mit dem PKW gemacht werden würden, öffentlich zurückgelegt werden. Das ist nicht nur gut für die Verkehrsbetriebe im Land, sondern auch fürs Klima, auf das man in der Corona-Krise etwas vergessen hat.

Wie sollen die milliardenschweren Corona-Hilfen finanziert werden?

Jörg Leichtfried: Die Schuldenquote wird steigen, das ist klar. Auf lange Sicht wird man aber über steuerpolitische Maßnahmen nachdenken müssen. Und da vertreten wir unsere bekannte Haltung, bei dem Großvermögen anzusetzen. Unter Türkis-Grün scheint mir das aber unrealistisch.