Nun liegt das endgültige Wahlergebnis vor. Überraschungen brachte die Auszählung der Wahlkarten keine. ORF-Hochrechner Christoph Hofinger legte bei seiner ersten Prognose des Endergebnisses am Wahlabend fast eine Punktlandung hin, die durchschnittliche Abweichung – zwischen der ersten Hochrechnung nach 17 Uhr und dem Endergebnis von Donnerstag – betrug laut Sora pro Partei lediglich 0,4 Prozent. Durchaus erstaunlich.

1 Tektonische Verschiebung. Wieder einmal lagen Partei-Insider, Politbeobachter, Meinungsforscher falsch. Dass es bei der Wahl zu Verschiebungen kommen würde, war vorherzusehen. Überrascht hat aber doch das Ausmaß: plus zehn Prozentpunkte bei den Grünen, fast minus zehn bei der FPÖ, plus sechs bei der ÖVP, fast minus sechs bei der SPÖ. Solche tektonische Verschiebungen gab es, so Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik nur bei der Wahl 2002, als die ÖVP unter Schüssel auf über 40 Prozent hinaufschoß und die FPÖ nach Knittelfeld kollabierte. Damals betrug die Nettovolatilität 20,9 Prozent, diesmal 18,6.


2 Ende der Stammwähler. Das Abschmelzen der Stammwählerschaft hat nach Aussagen des renommierten Politikwissenschafter Fritz Plasser diesmal einen neuen Rekord erreicht. 34 Prozent wählten diesmal eine andere Partei als 2017. Wenn man noch jene einschließt, die diesmal zu Hause geblieben sind, insbesondere FPÖ-Wähler, die über den Spesenskandal verärgert waren, stieg der Anteil auf 40 Prozent. Verfolgt man das Wählerverhalten über einen längeren Zeitraum, so sind laut Aussagen von Plasser nur noch 32 der Österreicher, die wahlberechtigt sind, Stammwähler (2017 waren es 34 Prozent). „Vor 30 Jahren fühlten sich noch 60 bis 70 Prozent der Wähler gefühlsmäßig einer Partei verbunden.“


3 Nichtwähler. „Ibizagate“ und die Spesenaffäre haben einen guten Teil der Österreicher davon abgehalten, nach zwei Jahren wieder wählen zu gehen. Nach einem Rekordzuwachs 2017 auf 80,0 Prozent brach die Wahlbeteiligung um 4,41 Punkte ein – mit 75,59 Prozent blieb man knapp über dem Tiefststand von 74,91 Prozent (2013). Heuer wurden wieder mehr als 1,5 Millionen - genau 1.561.333 - Nichtwähler gezählt. Mehr waren es nur 2013 mit 1.601.898.


4 Rekordabstand. Bisher war Franz Vranitzky der Rekordhalter. 1990 verwies der SPÖ-Kanzler den ÖVP-Herausforderer Josef Riegler mit einem Vorsprung von 10,7 Prozent auf Platz zwei. Diesmal lag die ÖVP von Sebastian Kurz um rekordverdächtige 16,3 Prozent vor der SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner. Die beiden Traditionsparteien als etwa gleich große Groß- bzw. Mittelparteien, die sich auf Augenhöhe begegneten – das war einmal.


5 Vorzugsstimmen. Noch liegt nicht das Endergebnis vor, die Stimmen aus Wien und das Burgenland fehlen noch. Bundesweit dürfte auch diesmal wieder Sebastian Kurz das Rennen gemacht haben (aktuell 129.532 Stimmen). Dahinter bereits Herbert Kickl (58.158), der aber Norbert Hofer (23.620) deutlich auf die Plätze verwies. Hofer hatte tags zuvor beklagt, dass eine erkleckliche Anzahl seiner Vorzugsstimmen ungültig seien, weil es auf der freiheitlichen Bundesliste noch einen Kandidaten mit dem selben Familiennamen gab. Stimmzetteln, die lediglich „Hofer“ als Vorzugsstimme auswiesen, seien somit als ungültig gewertet worden. Interessant ist, dass Kickl sogar ohne Wien und Burgenland Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache überholt hat, der 2017 41.479 Vorzugsstimmen holte. SPÖ-Chef Rendi-Wagner kam in den sieben Ländern auf 12.911, Grünen-Spitzenkandidat Werner Kogler auf 16.086, Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger auf 8.576 Stimmen.


6 Unpräzise Umfragen. Die in den USA lebende, bei „FiveThirtyEight“ arbeitende, österreichische Datenjournalistin Laura Bronner hat im Standard die Diskrepanz zwischen den Umfragen, die seit August stabil waren, und dem Endergebnis analysiert. Keine Umfrage sah die ÖVP bei 37 Prozent, keine Umfrage sah Türkis-Grün arithmetisch voraus, niemand hatte die Grünen so weit vorn. Meinungsforscher beteuern, dass die wenige Tage vor dem Sonntag ausgebrochene Spesenaffäre zu dem Last-Minute-Swing, weg von der FPÖ hin zur ÖVP geführt habe. Laut Meinungsforscher Franz Sommer wechselten mehr als 300.000 frühere FPÖ-Wähler zur ÖVP. Bronner bringt in dem Beitrag den Begriff des „herding“ in die Debatte ein, also die Versuchung, beim Auswerten der erhobenen Daten auch die Erkenntnisse der Konkurrenz einfließen zu lassen.


7 Rekorde. Grüne und Neos erzielten das beste Ergebnis bei bundesweiten Wahlen, die SPÖ fuhr das schlechteste Ergebnis aller Zeiten ein.


8 Türkise Einfärbung. Bereits am Wahlsonntag hatte es sich abgezeichnet: Die ÖVP lag in acht von neun Bundesländern vorn, umgedreht wurden im Vergleich zu 2017 noch das Burgenland und Kärnten. Von den 94 Bezirken sind 90 türkis, nur Wien (als Stadt), Linz, Wels und Steyr sind rot.


9 Fünf Optionen. Selten noch hat ein Wahlsieger nach einer geschlagenen Wahl so viele Optionen für die Regierungsbildung wie diesmal. Kurz hätte mit der SPÖ, der FPÖ, den Grünen bzw. mit den Grünen und Neos eine parlamentarische Mehrheit. Möglich wäre auch eine Minderheitsregierung. Doch keine der fünf Optionen überzeugt, die Einwände sind größer als die Argumente, die dafür sprechen. Kurz wird kommende Woche mit den vier anderen Parteien Sondierungsgespräche führen. Mit wem der ÖVP-Chef – wohl vor dem Nationalfeiertag – in Regierungsverhandlungen tritt, ist offen.


10 Regierung erst zu Ostern? Der Politologe Anton Pelinka ließ kürzlich in der Zib2 mit der Bemerkung aufhorchen, er schließe nicht aus, dass die Regierung erst zu Ostern steht. Die meisten Beobachter rechnen eher mit Jänner. Der bisherige Rekord waren 129 Tage (1962), Kurz würde den Rekord am 6. Februar brechen.