Frau Rendi-Wagner, fühlen Sie sich nach dieser Parlamentswoche als Siegerin?

Ich fühle mich bestätigt. Und zwar in meiner Meinung, dass es in dieser Situation am allerbesten ist, mit einer unabhängigen Expertenregierung wieder zu Stabilität und Ordnung zu kommen. Es ist beruhigend zu sehen, dass jetzt wieder die Sachlichkeit im Mittelpunkt steht, nicht die Inszenierung – und dass das Gespräch wieder zählt.

Was wäre denn so instabil daran gewesen, wenn bis zur Wahl Sebastian Kurz mit vier Expertenministern weiterregiert hätte?

Ich glaube nicht, dass es einer Partei zusteht, die bei der letzten Wahl 31 Prozent erhalten hat, zu regieren, als ob sie eine absolute Mehrheit hat, selbst wenn es nur vier Monate sind.

Aber Sie führen als Grund für die Abwahl immer wieder Stabilität an – was wäre instabil gewesen, wäre sie im Amt geblieben?

Er hätte keine unterstützende Mehrheit im Parlament gehabt – das ist für mich instabil.

Aber die Mehrheit gab es ja eben deswegen nicht, weil Sie ihn abgewählt haben.

Ich finde es nicht legitim, dass eine 31-Prozent-Partei mit einer Mehrheit ausgestattet wird, die ihr nicht zusteht.

Mit wem können Sie sich denn dann vorstellen, nach der nächsten Wahl zusammenzuarbeiten?

Wir sind noch vier Monate von der Wahl entfernt. Meine Aufgabe sehe ich darin, mit so vielen Menschen wie möglich ins Gespräch zu kommen und Antworten auf die wirklichen Fragen der Leute zu geben. Was kann ich tun, damit Menschen keine Angst mehr haben müssen, sich die Miete nicht mehr leisten zu können? Was kann ich tun, damit die Älteren keine Angst vor würdelosem Altern haben? Was kann ich tun, damit Frauen Vereinbarkeit von Familie und Beruf schaffen können? Die Politik kann und hat diese Antworten zu geben.

Sie werden diese Antworten nach menschlichem Ermessen nicht alleine geben können, nach einer absoluten Mehrheit für die SPÖ sieht es derzeit nicht aus.

Ich habe eine Koalition mit der FPÖ stets ausgeschlossen. Mit allen anderen kann ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen.

So kompliziert wie derzeit waren die politischen Verhältnisse noch nie. Wie kann sich da im Herbst eine Koalition finden?

Wir Parteien sind derzeit alle gefordert, das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen. Ich will kein Hickhack, keinen schmutzigen Wahlkampf – das ist nicht mein Politikstil.

Sie haben Wohnen, Pflege und Vereinbarkeit angesprochen. Sind das Ihre Wahlkampfthemen?

Ich möchte eine Politik, die den Menschen Chancen und Möglichkeiten eröffnet, die Menschen die Chance gibt, gesund zu bleiben, egal wie dick die Geldbörse ist. Ich möchte, dass Kinder Chancen auf die beste Bildung haben, den Beruf ergreifen können, den sie wollen.

Das sagt jeder Politiker.

Das behaupten vielleicht viele, aber sie tun das Gegenteil. Türkis-Blau hat die Mindestsicherung für Kinder gekürzt und damit Chancen genommen. Chancen zu eröffnen und Sicherheit zu geben, sind für mich die Ziele der Politik. Dass Menschen keine Angst vor der Zukunft haben, Stichworte Klimakrise und Digitalisierung. Meine Aufgabe ist jetzt einmal, den Menschen zuzuhören.

Aber Sie werden doch wohl schon Ideen haben, mit welchen Wahlversprechen Sie in die Wahl gehen werden. Was ist Ihr konkreter Plan zur Pflege?

Wir wollen eine staatliche Pflegesicherung. Da sind wir als Gesellschaft und Politik gefordert, eine zentrale Finanzierung und gleiche Qualität von Neusiedler bis Bodensee herzustellen.

Also soll der Bund die Pflege von den Ländern übernehmen?

Nein, aber Bundes- und Ländermittel sollen in einen gemeinsamen Pflegefonds fließen, der zentral verwaltet wird.

Was würde denn Ihr Pflegemodell die Republik kosten?

Länder- und Bundesmittel zusammen sind etwa fünf Milliarden; für zentrale Anlaufstellen und mehr Pflegepersonal veranschlagen wir etwa eine Milliarde zusätzlich.

Wo soll die herkommen?

Die letzte Regierung hat Maßnahmen zugunsten der Wirtschaft auf den Weg gebracht – etwa die Senkung der Unfallversicherungsbeiträge, das allein macht rund 500 Millionen Euro aus –, bei denen außer mir niemand gefragt hat, wer denn dieses Geld ersetzt. Ich sage: Die ältere Bevölkerung muss dem Staat dieses Geld wert sein.

© Akos Burg

Wollen Sie das Nulldefizit beibehalten?

Ein ausgeglichener Staatshaushalt ist natürlich ein erstrebenswertes Ziel. Gleichzeitig hat der Staat aber die Aufgabe, zu investieren, wo es notwendig ist.

Im letzten SPÖ-Wahlprogramm war zur Finanzierung der Pflege eine Erbschaftssteuer geplant. Wollen Sie sie wieder einführen?

Ich bin für mehr Steuergerechtigkeit und habe zu Beginn des Jahres ein modernes, neues Steuerstrukturkonzept in Auftrag gegeben. Den ersten Teil haben wir im EU-Wahlkampf präsentiert, europaweite Steuern wie Digital- und Finanztransaktionssteuern …

Für beide gibt es derzeit keine Mehrheit auf EU-Ebene …

Trotzdem ist die Idee richtig. Der zweite und dritte Teil des Steuerstrukturkonzepts wird im Herbst fertig sein. Ein Teil davon behandelt das Thema Millionärssteuer, ein anderer ökologisierte Steuern. Lassen Sie sich überraschen.

Was wollen Sie denn gegen den Klimawandel unternehmen?

Wir werden in den kommenden Wochen ein Paket schnüren und im Parlament einbringen.

Verzeihen Sie, Sie waren eineinhalb Jahre in der Opposition und jetzt sagen Sie, Steuerkonzept kommt im Herbst, Klimawandel-Maßnahmen sind noch am Weg …

Ich bin seit November im Amt.

Aber die Partei gibt es doch schon ein wenig länger.

Als ich Vorsitzende wurde, habe ich die für mich wichtigen Themen bei einer breit aufgestellten Expertengruppe in Auftrag gegeben. Wir haben ein Paket erarbeitet und Konzepte, wie wir die Klimaziele erreichen wollen; wir werden es in den nächsten Wochen vorlegen. Zum Beispiel ist die Steuerbefreiung des Luft- und Schiffsverkehrs nicht mehr zeitgemäß.

© Akos Burg

Die SPÖ hat die schlechte Diskurskultur zwischen Regierung und Parlament kritisiert. Versprechen Sie, das besser zu machen, sollten Sie in der Regierung sein?

In den letzten 18 Monaten sind Gesetze wie der 12-Stunden- Tag, wie der Karfreitag ohne Gespräche zuvor beschlossen worden – das war eine Politik des Drüberfahrens. Ich kann Ihnen versprechen, bei mir wird der Dialog immer im Mittelpunkt der Politik stehen.

Zuletzt war oft zu hören, die SPÖ sei wie die ÖVP vor zehn Jahren: Landeshauptleute und Altpolitiker, die Ihnen ausrichten, was zu tun, was von Ihnen zu halten ist.

Ich sehe alle Landesparteichefs verantwortlich, in ihren Ländern Vertrauen aufzubauen. Wenn das alle machen, werden wir gemeinsam stärker werden.

Das hat zuletzt nicht funktioniert. Bei der EU-Wahl haben Sie verloren.

Die SPÖ wurde schon öfters vor Wahlen vorzeitig abgeschrieben und es kam dann anders. Allein die letzten drei Wochen haben gezeigt, wie schnell sich die Dinge ändern können. Meine Aufgabe ist jetzt, die nächsten Monate zu nützen, um Antworten auf die Fragen der Menschen zu geben – und nicht auf unsere eigenen Fragen.